Wie kaum ein anderer prägte Loriot, der mit bürgerlichem Namen Bernhard-Victor Christoph-Carl „Vicco“ von Bülow hieß, das Humorverständnis ganzer Generationen von Deutschen. Viele seiner Bonmots und geflügelten Sätze sind im kollektiven Gedächtnis verankert, fast jeder kann etwas aus dem so reichen Œuvre des Meister-Satirikers zitieren. In den 70er und 80er Jahren, als die Popularität des gebürtigen Brandenburgers auf ihrem Höhepunkt angelangt war, erfreute uns Loriot mit seinen sketchhaften Fernsehreihen („Cartoon“, „Loriots Telecabinet“, „Loriot“) und später mit zwei der erfolgreichsten und vermutlich auch witzigsten Kinofilmen der deutschen Nachkriegsgeschichte: „Ödipussi“ und „Pappa ante Portas“. Im Alter von 87 Jahren ist Loriot am 22. August 2011 in Ammerland am Starnberger See an Altersschwäche gestorben.
Bitte sagen Sie jetzt nichts!
In einer Zeit, in der die Deutschen noch für ihre Humorlosigkeit verschrien waren und im Kino biedere Heimat- und Verwechslungslustspiele für klingende Kassen sorgten, revolutionierte Loriot mit seinen vielseitigen Talenten und seiner preußischen Disziplin die Fernsehlandschaft nachhaltig. In einer Mischung aus selbst gezeichneten Cartoons, Sketchen vor Livepublikum und eingespielten Filmszenen präsentierte er in seinen Fernsehreihen ein buntes Sammelsurium an genauen Alltagsbeobachtungen, kritischen Selbstreflexionen der Medienlandschaft und grotesken Überzeichnungen zwischenmenschlicher Absonderlichkeiten, die ihren Platz allzu oft im deutschen Bürgertum hatten. Mit nur wenigen Stichworten wie „Die Nudel“, „Herren im Bad“, „Der Lottogewinner“ oder „Weihnachten bei Familie Hoppenstedt“ dürften bei den meisten Lesern schlagartig Erinnerungen geweckt werden an eine Zeit, in der im Fernsehen noch Platz für niveauvolle Unterhaltung vorhanden war. Loriots Sketche haben auch nach Jahrzehnten noch nichts von ihrer Güte, ihrer Wahrhaftigkeit, ihrer Originalität und ihrer Perfektion verloren. Davon zeugen Sätze wie „Bitte sagen Sie jetzt nichts!“, „Das Bild hängt schief!“, „Ja, wo laufen Sie denn?“ oder „Früher war mehr Lametta“, deren Erwähnung allein schon für ein Lächeln auf den Gesichtern, wenn nicht gar ein herzhaftes Lachen sorgt.
Ich will einfach nur hier sitzen!
Loriots Werke haben etwas gleichermaßen Entwaffnendes wie Universelles, was ihnen eine zeitlose Qualität verleiht. Natürlich hat er in seinen Vignetten auch aktuelle Bezüge eingebaut, hat in seinen Sketchen Zeitgenossen wie Bernhard Grzimek („Die Steinlaus“) oder Peter Merseburger („Panorama“) parodiert, die man aber nicht mehr kennen muss, um die entsprechenden Karikaturen auch heute noch goutieren zu können. Im Vordergrund standen bei Loriot die menschlichen Makel und Verfehlungen, mit denen sich jeder identifizieren konnte – und mit denen man sich auch heute noch identifizieren kann. Wenn man nach seinem Feierabend „einfach nur hier sitzen will“ und einen die Vorschläge der werten Gattin sukzessive in den Wahnsinn treiben, wenn das freundschaftliche Abendessen im Restaurant angesichts des einzigen verbleibenden Desserts, eines Kosakenzipfels, in der Katastrophe endet, oder wenn man nach der Bescherung den Weihnachtsbaum vor lauter Kartonresten und Geschenkpapier nicht mehr sieht, dann kann man sich mit diesen Bildern losgelöst von Raum und Zeit identifizieren.
Mein Name ist Lohse und ich kaufe hier ein!
Erst sehr spät gelang es dem Starproduzenten Horst Wendlandt, Vicco von Bülow dazu zu bewegen, sein Talent auch auf der großen Leinwand auszuspielen. Zwar hatte Loriot in den 50er und 60er Jahren als Statist oder in kleineren Nebenrollen schon in Kinofilmen mitgewirkt („Der längste Tag“, „Das Wunder des Malachias“), aber erst mit 64 Jahren drehte er mit „Ödipussi“ 1987 seinen ersten Spielfilm in Eigenregie. Die Geschichte eines alten Muttersöhnchens, das an eine verklemmte Psychologin (Loriots Dauersketchpartnerin Evelyn Hamann) gerät, wurde zu einem sensationellen Kritiker- und Publikumserfolg. Auch der drei Jahre später entstandene „Pappa ante Portas“ schrieb die Erfolgsgeschichte Loriots in den deutschen Lichtspielhäusern fort. Das Thema: Die Pensionierung des ehemaligen Managers Heinrich Lohse, der mit seiner permanenten Anwesenheit in den eigenen vier Wänden seine Ehefrau an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt. „Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen“ – ein weiteres Bonmot Loriots, das er in unzähligen Sketchen und Cartoons wirkungsvoll auf den Punkt brachte. Durch sein herausragendes Werk für Fernsehen und Film wird er auch kommende Generationen noch als Meister des Humors und der treffsicheren Beobachtung zum reflektierten Lachen bringen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Wir erlebten ein Laboratorium für ein anderes Miteinander“
Carmen Eckhardt über „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ – Portrait 05/24
„Ich wollte die Geschichte dieser Mädchen unbedingt erzählen“
Karin de Miguel Wessendorf über „Kicken wie ein Mädchen“ – Portrait 04/24
Die Ewige Wiederkunft des Gleichen
James Bennings „Allensworth“ bei der Viennale – Portrait 11/23
„Film als Grundversorgung statt als Risiko“
Alexander Scholz über die Ziele des Filmnetzwerks Filmkultur NRW – Portrait 10/23
Schelm und Wahrheit
Wenn Komik Ernst macht: Von Erhardt bis Engelke und Lobrecht - Portrait 03/23
Die „neue Eva“
Kinoheldinnen #6: Die französische Schauspielerin Karin Viard – Portrait 01/23
Hingerissen von den Menschen
Kinoheldinnen #5: Die Filmemacherin Lina Wertmüller – Portrait 12/21
Zwischen Vakuum und Aufbruch
Kinoheldinnen #4: Ostdeutsche Regisseurinnen – Portrait 11/21
Mutter der Actionheldinnen
Kinoheldinnen #3: Die Produzentin Gale Anne Hurd – Portrait 10/21
Das Schild des Siegfried
Wie der Grafiker Siegfried Groß die Kinos rettete – Portrait 06/21
Die Dinge des Lebens
Als in den Kinos die Lichter ausgingen - und wieder an – Portrait 06/20
Die Körperkünstlerin
Kinoheldinnen #2: Die Illustratorin Joann Daley – Portrait 04/20
Das Gesicht hinter der Scheibe
Kinoheldinnen #1: Die Kassiererin – Portrait 03/20
Freundliche Grenzüberschreitung
Das Kino des Jim Jarmusch – Portrait 06/19
Sein wunderbarer Filmverleih
Zum Tod des Filmwelt-Verleihers Christian Friedel - Portrait 02/17
„An das ganze Leben denken“
Heinz Holzapfel, Pionier des modernen Filmkunstkinos, ist tot - Portrait 08/16
Kinomacher mit Leib und Seele
Manfred Kremer, langjähriger Betreiber des Weisshaus-Kinos, ist tot – Nachruf 01/16
Herr Rosi sucht das Leben
Filmische Begegnung mit Gianfranco Rosi – Portrait 10/15
Mensch und Mythos
Symposium „Das dokumentarische Portrait“ – Portrait 10/15
Die Saga für ein ganzes Leben
Ein kritischer Episodenführer über die erste Star Trek-Generation – Porträt 04/15
Filmgeschichte vermitteln
Bonner Brotfabrik startet monatlichen „Filmclub“ - Portrait 03/15
Robin und wie er die Welt sah
Zum Tod von Robin Williams – Portrait 08/14
Kirche gegen Kommunismus
Die „Don Camillo und Peppone“-Filme in der Retrospektive – Portrait 05/14
Das radikale Genie
Filmreihe Alejandro Jodorowsky - Portrait 02/14
Der Meister der Nebenrollen
Ein Nachruf zum Tod von Philip Seymour Hoffman - Portrait 02/14