Das seit Ende der 1990er bestehende, 2021 als Verein gegründete Filmnetzwerk Filmkultur NRW e.V. hat am letzten Wochenende in seinen „Perspektiven der Filmkultur NRW“ erneut gefordert, die Filmkultur mitsamt ihren Filmfestivals und Filmhäusern und -werkstätten endlich breiter zu fördern. Netzwerkmitglied und Leiter der Duisburger Filmwoche Alexander Scholz über die zentralen Punkte – und warum es gerade um den Nachwuchs geht, der nicht nur konsumieren, sondern auch mitmachen soll.
choices: Herr Scholz, Sie sprechen in Ihrem „Perspektiven“-Papier die Veränderungen des Filmezeigens und der Filmkultur an. Was hat sich in den letzten Jahren denn stark verändert?
Wir haben den Eindruck, dass sich Entwicklungen, die wir schon lange beobachten, in den vergangenen Jahren enorm beschleunigt haben. Das vereinzelte Filmeschauen ist für viele eine selbstverständliche Alternative zum Kinobesuch geworden. Der Druck auf das System, in dem Filme entstehen und ihr Publikum erreichen, ist gestiegen und wird weiter steigen, wenn dieses System nicht auf die veränderte Lage reagiert. Indes erfreuen sich Filmfestivals, Filmhäuser und -werkstätten als Orte, an denen Film als soziales Erlebnis erfahrbar wird, großer Beliebtheit. Dass filmkulturelle und kommerzielle Interessen schwer in Einklang zu bringen sind, ist also zuletzt besonders augenfällig geworden. Die Filmkultur erweist sich angesichts sozialen und medialen Wandels als äußerst flexibel und kreativ. Sie kennt ihr Publikum und macht entsprechende Angebote. Es ist aber zum Beispiel nicht selbstverständlich, dass Festivals plötzlich Onlineplattformen betreiben, auch unterjährig in ihren Städten präsent sind und Teil der Auswertungskette von Filmen werden. Damit filmkulturelle Akteure der steigenden Nachfrage nach ihren Angeboten und ihren diversen Aufgaben weiter gerecht werden können, bedürfen sie einer entsprechenden Ausstattung.
Sie möchten, dass die Filmförderung mehr zur Kinoförderung und Orte-Förderung wird, um den direkten gesellschaftlichen Austausch wieder in Gang zu bringen?
Gesellschaftlicher Austausch über Film – sei es im Kinosaal, im Freundeskreis oder in der Filmkritik – ist ja ein Zeichen dafür, dass die Menschen sich von Bildern berühren und inspirieren lassen. Dass Filme die Menschen allerdings erreichen, ist inmitten vieler Angebote, die um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren, überhaupt nicht mehr selbstverständlich. Filmkulturelle Akteure machen sich genau das zur Aufgabe: Filme und Publikum zusammenbringen – in eingeübten und in eher unkonventionellen Formaten der Begegnung. Diese Arbeit in die Förderung von Filmen miteinzubeziehen, finden wir naheliegend. Und der wichtigste Raum, in dem diese Arbeit passiert, ist das Kino.
Es geht Ihnen auch darum, dass Festivals, Filmhäuser und -werkstätten eben nicht nur das Filmeschauen fördern, sondern bewusst auch dazu ermuntern, selbst tätig zu werden. Filmkultur also als Einladung zur Teilhabe und beruflichen Orientierung?
Was in anderen Kultursparten möglich ist, sollte auch im Bereich Film selbstverständlich sein. In Musikschulen gibt es die Möglichkeit, schon von klein auf Instrumente zu erproben. Überall gibt es Theatergruppen und Chöre. Wieso sollte es da nicht auch möglich sein, Menschen aller Altersgruppen für das Filmemachen zu begeistern? Filmkulturelle Akteure in NRW bieten einen niedrigschwelligen Zugang zu Filmproduktion und Filmbildung. Diese Teilhabe kann in eine berufliche Perspektive münden, aber auch ganz einfach Spaß machen. So oder so sorgt filmpraktisches Arbeiten dafür, dass Menschen einen Ausdruck für die eigene Perspektive finden und für ästhetische Erfahrungen sensibilisiert werden, die in einer von Bildern geprägten Welt alltäglich sind. Leider sind solche Angebote bisher nur punktuell möglich, da die Infrastruktur für ein breiteres Angebot fehlt. Hier gilt es mit einer nachhaltigen Förderung und der systematischen Weiterbildung nachzubessern.
Sie möchten die Filmkultur auch wieder in kleinere Orte und deren Kinos bringen. Wie soll das gehen?
Wer Filmkultur als soziales Geschehen begreift, muss auch ein Interesse daran haben, für Menschen, die nicht in Ballungszentren leben, Teilhabe zu organisieren. Dazu braucht es aber den entscheidenden politischen Willen für die Umsetzung entsprechender Projekte. Sobald Filmkultur als Teil einer kulturellen Grundversorgung, statt als finanzielles Risiko angesehen wird, erscheint es möglich, diese auch stärker in der Breite anzubieten. Gerade in NRW haben viele Regionen eine eigene Filmgeschichte, die in lokalen Veranstaltungen sowohl das Gedächtnis an Filme wie auch ein Gedächtnis der Orte wachhält.
Ein wichtiger Punkt ist das Filmerbe, das immer noch kaum zugänglich ist. Das steht dann praktisch im Zusammenhang mit einer besseren, fairen Bezahlung Kulturschaffender, denn allein die Aufarbeitung des Filmerbes kann nicht mal nebenbei erfolgen?
Die faire Bezahlung von Kulturarbeiter:innen ist eine grundsätzliche Forderung. Im Kulturbetrieb muss die Identifikation der Arbeitenden mit ihrem Job – anders als in anderen Bereichen – häufig als Rechtfertigung für prekäre Arbeitsverhältnisse herhalten. Wir fordern stattdessen flächendeckende Honoraruntergrenzen und -standards. Aber Sie haben recht: Häufig werden wichtige Aufgaben wie die Pflege des Filmerbes von filmkulturellen Akteuren schlicht deswegen mit übernommen, weil sonst kaum jemand dafür zuständig ist bzw. beauftragt wurde. Auch das führt in die Überlastung. Sinnvoller wäre ein allgemeines Konzept, wie mit dem Filmerbe in NRW und darüber hinaus verfahren werden soll, und eine entsprechende Finanzierung dieses Vorhabens.
(Dieser Text erschien zuerst in unserem choices-Newsletter Meine Filmwoche. Hier abonnieren.)
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