Mittwoch, 11. April: Anlass für die ifs-Begegnung „Film und Kunst nach dem Kino“ war die gleichnamige Buchpublikation des Leiters der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, Dr. Lars Henrik Gass, die gerade in aktualisierter und erweiterter Neuausgabe erschienen ist. Die an der internationalen filmschule köln (ifs) als Professorin für Filmgeschichte tätige Dr. Lisa Gotto hatte den Autoren Gass sowie den Filmkritiker und -kurator Daniel Kothenschulte und den Kunstkritiker, Filmemacher und Autoren Heinz Peter Schwerfel zu einer Diskussion ins Filmforum im Museum Ludwig geladen. Ein spannender Ort für Gespräche über die Zukunft und neue Distributionskanäle von Filmen, da hier sowohl der museale als auch der kinematografische Bezug spürbar sind. Die von Gotto herbeizitierte „postkinematografische Gegenwart, in der Film als Wahrnehmungsform nicht mehr zeitgemäß ist“, wurde von Lars Henrik Gass etwas genauer umrissen. Er vertrat die Position, dass wir uns „dem gewerblichen Ende des Kinos nähern“, da seit dem Jahr 2000 rund ein Drittel der Einnahmen an den Kinokassen eingebrochen sind. Kino wäre ohne die Maßnahmen der Filmförderung in Deutschland nicht mehr überlebensfähig, andererseits benötige Film „Aufführung, Publikum und Raum“, was zusammen eine äußerst komplexe Aufgabenstellung ergäbe. Gleichzeitig forderte Gass ein größeres Engagement von Seiten der Politik für die vernachlässigte Kunstform Film. „In den 80 größten deutschen Städten Kinematheken für den Erhalt der Filmkultur zu finanzieren, hätte nur einen Bruchteil der Finanzierung der Elbphilharmonie gekostet.“
Auch für Daniel Kothenschulte geht das Engagement für den Erhalt und die Sichtbarmachung von Filmkultur hierzulande nicht weit genug. Er verwies auf die gerade im Museum Ludwig zu sehende Günter-Peter-Straschek-Ausstellung, in der auch vergessene Dokumentarfilme des revolutionären Filmemachers aus den 60er und 70er Jahren vor dem Vergessen gerettet würden. „Obwohl es in seinen Arbeiten keinen direkten Kunstbezug gibt, hat sich hier ein Kunstmuseum der Bewahrung dieser Filme angenommen.“ Von einem einmalig im WDR-Fernsehprogramm ausgestrahlten Film gab es auch beim Sender keine Kopie mehr, lediglich ein privater VHS-Mitschnitt von entsprechender Qualität stand den Kuratoren hier noch zur Verfügung. Für Heinz Peter Schwefel hat sich das „ästhetische Erlebnis am Filmsehen“ trotz der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen bis heute nicht verändert. Gass hingegen konstatiert, dass die heutige Ablenkungskultur langfristigen Projekten entgegenwirke, weil jeder Mensch neue Aufmerksamkeitsökonomien entwickelt habe: „Für mich hat es fast schon etwas Rührendes, wenn sich Menschen zwei Stunden im Kino einer anderen Wahrnehmung aussetzen.“ Keine störenden Ablenkungen mehr, kein Multitasking, keine Möglichkeit, den Film zu pausieren oder auf schnellen Vorlauf zu schalten.
Genau diese Möglichkeiten der individuellen Filmrezeption auf DVD oder dem Smartphone begreift Lisa Gotto aber auch als Vorteil der aktuellen Entwicklungen: „Wir können Film nun anders begreifen, die Flüchtigkeit der alten, klassischen Filmprojektion ist nicht mehr die einzige Möglichkeit der Wahrnehmung“, sagte Gotto im Gespräch. Mit dieser Ansicht blieb sie auf dem Podium allein, ihre drei männlichen Kollegen favorisierten allesamt die klassische Form der Filmrezeption. Lars Henrik Gass meinte hierzu: „Filme individuell an bestimmten Stellen anzuhalten nimmt dem Kino das, was es ausmacht.“ Man müsse sich der Tatsache stellen, dass Kunstformen, die eine gewisse Zeit für sich verlangen, derzeit ein großes Problem hätten, so Gass weiter. Obwohl heute beispielsweise auch mehr gelesen würde als früher, hätte das vertiefte Lesen in den letzten 15 Jahren kontinuierlich abgenommen, was eben auch mit den veränderten Aufmerksamkeitsökonomien der Menschen zusammenhänge.
Einig waren sich die Diskutierenden, dass künftig mehr für die Bewahrung der Filmkultur getan werden müsse. „Auch die deutsche Theaterlandschaft kann nur durch sehr hohe Subventionen in ihrer jetzigen Form erhalten werden“, sagte Schwerfel. Lars Henrik Gass ergänzte: „Kino und Film sollten endlich auf die gleiche Weise gefördert werden wie Theater und Kunst.“ Und auch Daniel Kothenschulte unterstrich noch einmal, dass Kulturgeschichte auch immer etwas mit Konservieren zu tun habe. Es müsse sich auch jemand um die Bewahrung der Filmkultur kümmern, und das dürfe nicht nur durch punktuelle Auswahl erfolgen, sondern müsse auch hinsichtlich der Digitalisierungsprojekte auf ganz andere Beine gestellt werden: „Institutionen benötigen die Mittel, um die Originalmaterialien dauerhaft zu erhalten, nicht nur gebunden an einzelne Projekte, sonst bleibt das Ganze ein Tropfen auf den heißen Stein.“
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