Mittwoch, 6. August: Eine Art Heimspiel sollte die choices-Premiere des KHM-Abschlussfilms „Milch ins Feuer“ von Justine Bauer am Vorabend des bundesweiten Starts des Films in Köln werden. Denn an der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) hatte die in der Region Hohenlohe geborene Nachwuchsfilmemacherin ihr filmisches Handwerk gelernt. Thematisch blieb sie im Film allerdings dem Umfeld und den Menschen treu, mit denen sie als Kind aufgewachsen war. Deswegen ist „Milch ins Feuer“ das seltene Beispiel eines Spielfilms, der sich mit weiblichen Bäuerinnen beschäftigt und noch dazu im hohenlohischen Dialekt gedreht wurde, der im nordöstlichen Baden-Württemberg verortet und Teil der ostfränkischen Dialektgruppe ist. Filmperlen startet den Film nun bundesweit in mehr als 40 Kinos, und Verleihchefin Claudia Oettrich dankte am Premierenabend im Odeon-Kino nicht nur choices für die Organisation des Events, sondern auch der Film- und Medienstiftung NRW, die den Film sowohl bei der Produktion als auch beim Verleih gefördert habe: „Ohne Filmförderung könnte man solche Filme nicht herstellen, auch bei der Herausbringung durch den Verleih ist Filmförderung unabdingbar“, sagte Oettrich in Köln. Moderiert wurde der Abend von choices-Mitarbeiterin Heike Werntgen, die schon bei der Einführung betonte, dass sie als „Kind vom Lande“ ebenfalls einen persönlichen Bezug zum Inhalt habe und dass es „Milch ins Feuer“ verdient habe, „gesehen zu werden“. Für die Regiedebütantin Justine Bauer war es eine ganz logische Entscheidung, sich hier mit diesen Themen auseinanderzusetzen, denn sie hatte Bäuerinnen bislang in Spielfilmen schmerzlich vermisst., zumal sie „diese Menschen aus meinem Leben kannte“.
Probleme mit dem Dialekt
Justine Bauer stand bei der Realisierung des Films von Anfang an Semih Korhan Güner zur Seite, der nicht nur als Produzent bei „Milch ins Feuer“ fungierte, sondern mit Bauer auch den Casting-Prozess leitete und den Film im Schnitt in seine endgültige Form brachte. Da der Türke erst seit sechs Jahren in Deutschland lebt, wunderte sich Heike Werntgen, dass er nicht an der Dialektbarriere des Films gescheitert sei. Güner merkte dazu an: „Mittlerweile verstehe ich sehr viel vom Hohenlohischen. Ich bin Justines Partner, deswegen sehe ich die Familie sehr oft. Aber am Anfang war es wirklich schwer.“ Einige weitere Teammitglieder, die zur Köln-Premiere zahlreich ins Odeon-Kino gekommen waren, stammen aus Ländern wie dem Iran und Marokko. Aber nicht nur sie, auch einige gebürtige Deutsche aus der Crew gaben zu, dass sie nur rund 60 Prozent des Dialogs verstanden hätten. Damit einem nichts von der mitreißenden Geschichte entgeht, bringt Filmperlen „Milch ins Feuer“ mit hochdeutschen Untertiteln in die Kinos. Die Fähigkeit, Hohenlohisch zu sprechen, war jedenfalls eine grundlegende Voraussetzung, nach der Bauer und Güner die Darsteller:innen für ihren Film besetzten. Hauptdarstellerin Karolin Nothacker war gelernte Mechatronikerin und hat gerade erst in der vergangenen Woche ihre Schreiner-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Zur Schauspielerei kam sie durch eine Zeitungsanzeige, in der Justine Bauer nach jungen Frauen gesucht hatte, die Hohenlohisch sprechen. Auf diese Anzeige war auch „Anna“-Darstellerin Pauline Bullinger aufmerksam geworden, die ganz in der Nähe von Nothacker aufgewachsen war und dieselbe Schule besucht hatte. Die bislang oberflächliche Bekanntschaft der beiden intensivierte sich dann durch die Dreharbeiten.
Schwere Themen streifen
Die Kameraarbeit von Pedro Carnicer, die von Werntgen besonders gelobt wurde, sei nach dessen Aussage sehr intuitiv entstanden, weil es sich um einen Film mit Laiendarstellern handle. Er sagte dazu bei der Premiere: „Ich habe viel beobachtet und mich auf Details konzentriert.“ Auf Nachfrage aus dem Publikum erläuterte Justine Bauer, dass auch die zahlreichen schweren Themen, wie Niedergang kleiner Landwirte oder Ausländerfeindlichkeit, bereits im Drehbuch angelegt gewesen seien. „Man kann vom Leben auf dem Land, aber auch generell vom Leben in Deutschland, heutzutage nicht erzählen und dabei den Rechtsruck ausklammern“, so die Regisseurin. Für Staunen bei den Zuschauer:innen sorgte indes die Tatsache, dass im ganzen Film kein einziges Handy zu sehen ist, obwohl der Lebensalltag von jungen Frauen abgebildet wird. Bauer sagte dazu: „Wenn man viel arbeitet, hat man schlichtweg kaum Zeit dafür.“ Ihre Hauptdarstellerin Karolin Nothacker ergänzte: „Ich bin tatsächlich nicht viel am Handy, sondern arbeite lieber auf dem Hof. Seit Kurzem haben wir dort aber einen Roboter, der über eine Handy-App gesteuert wird. Deswegen hat das nun schon etwas zugenommen.“ Neben den vielen authentischen Laiendarsteller:innen glänzt in „Milch ins Feuer“ Johanna Wokalek („Die Päpstin“) als Mutter der jungen Frauen. Bauer fand die Schauspielerin schon als Teenagerin toll. „Sie hat mich inspiriert, etwas mit Film machen zu wollen“, erzählte Justine Bauer in Köln. Umso glücklicher war sie, dass Wokalek bereits zwei Tage, nachdem sie das Drehbuch erhalten hatte, an einer Zusammenarbeit interessiert war. Für ihre Rolle lernte sie extra mit einem Dialekt-Coach Südalemannisch, weil ihre Figur aus Freiburg in den Hohenlohekreis gezogen war. Das Premierenpublikum bescheinigte, dass Wokalek die Mundart sehr überzeugend dargeboten habe.
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