Donnerstag, 31. Oktober: Nachdem Andres Veiels Film über die umstrittene Filmemacherin Leni Riefenstahl im August auf dem Filmfestival von Venedig seine Uraufführung gefeiert hatte und mit dem „Cinema & Arts Award“ ausgezeichnet wurde, ist „Riefenstahl“ nun seit dem 31. Oktober bundesweit in den Kinos zu sehen. In Köln machte der Dokumentarfilmer im Rahmen eines Filmsociety-Abends des Kunstsalons Station, wo er sich im Anschluss an die Projektion den Fragen des Filmjournalisten und Choices-Redakteurs Christian Meyer-Pröpstl und des Premierenpublikums stellte. Veiel erläuterte, dass ihm das Projekt von Produzentin Sandra Maischberger zugetragen worden war, die sich bereits Zugang zum Nachlass Leni Riefenstahls erkauft hatte, der auf drei Museen (gegliedert nach Filmmaterial, Fotos und Schriftgut) aufgeteilt ist. Insgesamt hat die Arbeit für den Film fünf Jahre gedauert, und Veiel offenbarte am Premierenabend im ausverkauften Kölner Weisshauskino, dass er sich vermutlich nicht darauf eingelassen hätte, wenn er im Vorfeld geahnt hätte, wie lange ihn die Arbeit daran in Beschlag nehmen würde. Denn Riefenstahl sei weder „eine herzensgute Frau noch sonderlich empathisch“ gewesen, so der Regisseur. Doch bei der Sichtung des gigantischen Nachlasses, der für ihn wie eine Black Box gewesen sei, weil er nicht wusste, was er darin finden würde, erkannte Veiel schnell, dass es insgesamt interessant genug werden würde. Stück für Stück habe er darin nach Neuem und nach Leerstellen gesucht, um das auch von den Medien immer wieder ausgeschlachtete Phänomen Riefenstahl transparenter zu machen.
Generationstypisches Verhalten?
So habe Veiel in den akribisch dokumentierten Unterlagen aus dem Nachlass beispielsweise entfernte Teile entdeckt, die „vermutlich der Legende von der unpolitischen Frau widersprochen hätten“, so der Dokumentarfilmer in Köln. Denn Riefenstahl hatte bekanntlich zeitlebens versucht, die politische Dimension ihrer engen Bindung zum NS-Regime kleinzureden und sich als Verfechterin der Ästhetik zu stilisieren. Den studierten Psychologen Veiel interessierte am Nachlass vor allen Dingen der psychologische Ansatz, der Riefenstahls Verhalten als generationstypisch oder universell deutbar macht. Heiß diskutiert hat Veiel mit seinem Team, das u.a. auch aus drei Editoren bestand, insbesondere die Momente, in denen Riefenstahl von Vergewaltigungen in ihrem Leben berichtet. Diese Schilderungen entstammten Entwürfen für ihre Memoiren, die nicht in die finale Version übernommen worden waren. Wird durch den Einbezug in den Film nicht doch Verständnis für Riefenstahl geweckt? Andres Veiel betonte in diesem Zusammenhang, dass es für ihn durchaus einen Unterschied zwischen Verstehen und Verständnis gäbe. Sie hätten hier eine Spur entdeckt, der sie unbedingt nachgehen mussten. Darüber hinaus sei es ihm wichtig gewesen, Riefenstahl bei der Arbeit an der Kamera und im Schnittraum zu zeigen, um ihren Fähigkeiten Raum zu geben. Sie sei eine gute Editorin gewesen und hätte ein Talent dafür gehabt, die richtigen Kameraleute an den richtigen Positionen einzusetzen. Diese Darstellung habe dann die Möglichkeit eröffnet, auch Riefenstahls Nachtseite nicht auszusparen, wenn sie beispielsweise bei der anstehenden Zwangssterilisation ihres Kameramanns Willy Zielke untätig blieb.
Sehnsucht nach dem Heroischen
Den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, die heute gerade auch bei Dokumentarfilmen gerne angewandt wird, habe sich Veiel „komplett verboten, weil das bei einem Film über eine Manipulatorin am Ende gegen uns hätte verwendet werden können“, erläuterte der Regisseur. Für ihn ist es erschreckend, dass er während der Arbeit am Projekt ästhetische Parallelen zu Riefenstahls Werk bei der Berichterstattung von den Olympischen Spielen in Beijing 2022 oder beim Truppenaufmarsch der russischen Armee vor dem Überfall auf die Ukraine erkennen konnte. „Die Sehnsucht nach dem Heroischen und Idealen ist heutzutage auch in der Politik wieder massiv verbreitet. Die Schamlosigkeit nimmt wieder zu und schafft es sogar, damit Wählerstimmen zu gewinnen“, resümierte Andres Veiel. Riefenstahls seltene Talkshowauftritte waren durchaus umstritten. Im Film hat Veiel einige im Nachlass vorhandene Tonaufzeichnungen von Anrufern verwendet, die zu 100% positiv ausfallen. Auf Nachfrage aus dem Publikum erläuterte der Regisseur, dass er negative Reaktionen nicht ausgeklammert habe, sondern dass es diese im Nachlass schlichtweg nicht gegeben habe. Veiel weiter: „Ich glaube allerdings nicht, dass Riefenstahl negative Reaktionen weggeworfen hat, da sie sich auch selbst in der Opferrolle stets gefallen hat. Vielmehr denke ich, dass dies die Stimmung im damaligen West-Deutschland ganz gut eingefangen hat, denn das ganze Land hatte damals einfach genug von der Schulddebatte.“ Wichtig sei bei Riefenstahl insbesondere, dass man in ihren Arbeiten Ästhetik und Politik nicht trennen dürfe, wie das einige ihrer unkritischen Verehrer wie Mick Jagger und Quentin Tarantino aber leichtsinnigerweise tun.
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