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Jarek Bąk, Koletta Sieja, Katarzyna Szustow und Mateusz Czyczerski
Frank Brenner

Queere Menschen in Polen

12. Juli 2024

„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24

Donnerstag, 11. Juli: Im Jahr 2022 hat sich der Queerowy Klub als ehrenamtliche Initiative in Köln gegründet. Die Gründungsmitglieder und Klubvorsitzenden Jarek Bąk, Koletta Sieja und Mateusz Czyczerski möchten hiermit „Queere Perspektiven im Exil“ eröffnen und polnisch stämmigen Menschen in Köln einen sicheren Raum und auf ihre Bedürfnisse zurechtgeschnittene Veranstaltungen bieten. Bereits zum dritten Mal findet „Queerowe perspektywy na emigracji“ im Juli nun in Köln statt, zeitlich geschickt platziert im Pride-Monat der Domstadt. Die eigentliche Parade des Cologne Pride ist wegen der Europameisterschaft im Fußball in diesem Jahr vom ersten auf den dritten Sonntag im Juli verlegt worden, doch der ganze Monat bietet traditionell zahlreiche Veranstaltungen mit queerem Hintergrund, worin sich die Termine des Queerowy Klub perfekt einfügen. Als Auftaktveranstaltung zeigte man am Abend des 11. Juli im Filmhaus die Dokumentation „Boylesque“ von Bogna Kowalczyk, die damit ihre Deutschlandpremiere feierte. Die Regisseurin hat sich in dem 2022 für HBO Max in Polen entstandenen Film mit dem Leben von Andrzej Szwan beschäftigt, der sich in der Drag Queen Lulla La Polaca bereits vor Jahrzehnten ein Alter Ego geschaffen hat, mit dem er es in seinem Heimatland zu großer Bekanntheit gebracht hat. Auch mit über 80 Jahren schlüpft der selbstbewusste Mann gerne in Frauenkleider und bereichert so manche Drag-Show in Polen mit seiner Anwesenheit als Ehrengast. Im Anschluss an die Filmvorführung hatten die Veranstalter den polnischen Autoren und Podcaster Jakub Wojtaszczyk zu einer Gesprächsrunde geladen. Der hatte mit dem Buch „Cudowne przegięcie: Reportaż o polskim dragu“ (etwa: Eine wunderbare Wendung: Ein Bericht über polnischen Drag) vor zwei Jahren einen Erfolg verbuchen können und stand Rede und Antwort über die aktuelle LGBTIQ-Situation in Polen.


Jakub Wojtaszczyk im Gespräch mit Bąk und Sieja, Foto: Frank Brenner

Drag in Zeiten des Kommunismus

Wojtaszczyk, der für die Veranstaltung aus Posen angereist war, erzählte im Filmhaus, dass er „Boylesque“ in Köln anders wahrgenommen habe, zumal er den Film hier nun zum ersten Mal im Kino gesehen habe. Während der Recherchen zu seinem Buch habe er Lulla La Polaca auch persönlich, allerdings nur auf einer beruflichen Ebene kennengelernt. Auf Nachfrage aus dem Publikum bestätigte der Autor, dass sie auch im wahren Leben genauso sei, wie man sie im Film erlebt. Sie würde immer gerne ihre Geschichte erzählen, für Wojtaszczyks Buch sei es aber natürlich auch wichtig gewesen, weitere Stimmen zu hören und in seinen Bericht einfließen zu lassen. Vor vier Jahren habe er mit den Arbeiten an seiner Drag-Historie begonnen, und als das Buch 2022 herauskam, fiel dies gerade mit einer gestiegenen Popularität queerer Themen in Polen zusammen, weswegen es zu einem großen Erfolg wurde. „Ursprünglich wollte ich lediglich über Drags in den 2020ern schreiben, ich habe meine Perspektive dann aber erweitert, weil die Drag-Geschichte in Polen ebenfalls schon sehr lang ist“, berichtete Jakub Wojtaszczyk. Schon in Zeiten des Kommunismus hätte es das auch in Polen bereits gegeben, damals allerdings noch unter dem Namen Crossdressing. Eine der bekanntesten Drag Queens in Polen, so Wojtaszczyk weiter, sei in den 1980er Jahren die aus Vietnam immigrierte Kim Lee gewesen. Diese sei allerdings ein heterosexueller Mann mit Frau und Sohn gewesen, die trotzdem viele LGBTIQ-Events veranstaltet und junge Menschen bei ihrem Coming Out unterstützt habe. Kim Lees Ehefrau sei sogar dem rechten politischen Spektrum zuzuordnen gewesen. „Es gibt nicht immer einfache Antworten auf diese Fragen, oft stecken komplexere Geschichten dahinter“, so Wojtaszczyk.


Zu Gast im Filmhaus: der Autor Jakub Wojtaszczyk, Foto: Frank Brenner

Weitreichende Veränderungen

Lange Zeit wäre die polnische Dragszene von schwulen Männern dominiert gewesen, mittlerweile habe sich diese auch Trans*, Nicht-Binären und Drag Kings geöffnet. Jakub Wojtaszczyk betonte allerdings, dass viele ältere Zeitzeugen mit diesen Veränderungen ihre Probleme hätten. Für den Autor selbst waren aber gerade diese Entwicklungen ein spannendes Thema für sein Buch. Während seiner Recherchen sei die politische Lage in Polen zwar sehr schwierig gewesen, dennoch habe er sich in der queeren Community stets sehr wohl, betreut und sicher gefühlt. Durch die Corona-Pandemie hätten sich damals viele Events ins Internet verlagert, was wiederum vielen jüngeren Leuten den Zugang zu Drag geöffnet habe. Der Siegeszug von Formaten wie „RuPauls Drag Race“ habe ebenfalls zu diesem Popularitätsschub beigetragen. In der Projektphase seines Buches habe auch Jakub selbst einmal einen Auftritt in Frauenkleidern absolviert, dabei aber schnell festgestellt, dass dies nichts für ihn sei. „Das ist eine Kunstform, die man fühlen und für die man prädestiniert sein muss“, ergänzte er im Gespräch mit Jarek Bąk. Nachdem im vergangenen Jahr die liberal-konservative Bürgerkoalition unter Führung von Donald Tusk in Polen die Parlamentswahlen gewonnen hat, sieht Wojtaszczyk die Chance für weitere Verbesserungen gekommen. Bislang würden die Veränderungen der Lebenssituation von LGBTIQ-Menschen aber noch nicht auf institutioneller Ebene erfolgen, weswegen die Lage für diese in Polen vielerorts noch sehr schwer sei. Insbesondere in den ländlicheren Regionen und kleineren Städten gilt es, noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten und queere Personen als Selbstverständlichkeit zu etablieren.


Jakub Wojtaszczyk und Jarek Bąk, Foto: Frank Brenner
Frank Brenner

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