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Katja Baumgarten
Fotos: viktoria11.de

„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“

05. November 2024

Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24

Gemeinsam mit ihrer Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen wird die Regisseurin, Journalistin und Hebamme Katja Baumgarten ihren preisgekrönten Dokumentarfilm „Gretas Geburt“ am 13.11. um 19 Uhr beim Filmnetzwerk LaDOC im Filmhaus Köln vorstellen, begleitet von einem Gespräch mit der Autorin Caroline Nokel und der Filmemacherin Mirjam Leuze. „Gretas Geburt“ folgt über einen Zeitraum von zehn Jahren dem Schicksal der Ärztin und Hebamme Anna, die nach dem tragischen Ausgang einer Geburt des Totschlags angeklagt wird und danach für mehrere Jahre ins Gefängnis muss. Beim DOK.fest München erhielt Baumgarten für ihr außergewöhnliches Werk den Preis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm.     

Frau Baumgarten, Sie sagen zur Entstehungsgeschichte Ihres Films: „Eigentlich wollte ich nur zum ersten Verhandlungstag kommen, dann wieder zur Urteilsverkündung.“ Was genau passierte oder faszinierte Sie, dass Sie dann in Dortmund den Prozess verfolgten und über ihn und dessen Folgen den Film „Gretas Geburt“ drehten?

Ich war beeindruckt von der Intensität der Atmosphäre im Gerichtssaal. In der öffentlichen Verhandlung, in der sich die fünf Richter durch die Zeug:innenaussagen und Gutachten ein Bild der Umstände von Gretas Geburt machen wollten, entstanden bei jedem im Saal innere Bilder von diesem traurigen und dramatischen Geschehnis. Eine große Emotionalität war im Saal spürbar. Der Tod des kleinen Mädchens und die Trauer ihrer Eltern haben niemanden unberührt gelassen. Eine Kollegin auf der Anklagebank zu sehen, hat mich ebenfalls bewegt. Denn für die meisten Geburtshelfer:innen - egal ob Hebammen oder Mediziner:innen – schwingt die Sorge um die juristischen Risiken bei ihrer Arbeit immer latent mit. Gleichzeitig waren für mich auch die fachlichen Fragen sehr interessant, die die Gutachter untersucht und vorgetragen haben. Und natürlich ging es auch um unterschiedliche Konzepte der Geburtshilfe - Fragen von Sicherheit, sowohl in der Klinik wie auch zu Hause. Auch die Fragen, für die dort kein Raum war, haben mich beschäftigt. 
 
Erstaunlich sind die ideologischen Fronten, die bei dem Fall sichtbar wurden. Wie erklären Sie sich diese?

Für mich war erstaunlich, dass kein:e Gutachter:in eingeladen worden war, der oder die mit der Hausgeburtshilfe vertraut war. In der Hausgeburtshilfe gibt es Sicherheitsfaktoren, die in der Klink fehlen und umgekehrt. Menschen, die in der Klinik arbeiten, sind damit oft nicht vertraut und sehen nur den Mangel in der Hausgeburtshilfe, nicht das, was für die Geburtsarbeit der Frau und von ihrem Kind bei einer normalen Geburt dort vorteilhaft ist. Ein:e Sachverständige aus diesem Bereich hätte ich für angemessen gehalten, unabhängig davon, wie man zu der Entscheidung der Eltern steht, ihr Kind nicht in einer Klinik zur Welt zu bringen, angesichts der Steißlage von Greta. Die zügigen und korrekten Handgriffe zur Entwicklung der Steißlage hatte die Geburtshelferin jedenfalls beherrscht. In Deutschland ist das Nebeneinander der üblichen Klinikgeburtshilfe und der weniger verbreiteten Hausgeburtshilfe bzw. der Geburtshilfe in hebammengeleiteten Einrichtungen ein großer Diskussionspunkt, gerade unter Vertreter:innen der Klinikgeburtshilfe. In Großbritannien, wo alle Hebammen und ärztlichen Geburtshelfer:innen von demselben Arbeitgeber, dem staatlichen Gesundheitsdienst bezahlt werden, wird diese Diskussion nicht so kontrovers geführt. Die Hebammen, die Hausgeburten betreuen, kommen meist aus demselben Team, wie die Klinkhebammen - teilweise sind sie in beiden Bereichen tätig. 



Sie sind selbst auch Hebamme. Wie sehr hat Sie die Entwicklung der verurteilten Kollegin Anna, die ihrer über 90 Jahren alten Mutter den Gefängnisaufenthalt verschwiegen hat, berührt? 

Diese Aussage aus unserem Gespräch, die Sie ansprechen, zeigt Annas Einsamkeit im Gefängnis, wenn sie ihre Mutter mit Belastungen durch ihre Situation verschonen möchte. Insgesamt hat mich die Entwicklung von Anna über Jahre bei der Begleitung des Gerichtsprozesses und der Zeit danach sehr beschäftigt. Gerade bei der Montage am Film, wo man diese Spanne aus zehn Jahren in den Filmbildern am Bildschirm direkt vor sich hat: Man kennt den weiteren Verlauf der Geschehnisse und kann dabei technisch schnell hin und her springen. So zeigen sich einem die Veränderungen und Entwicklungen sehr verdichtet: das Älterwerden, auch mein eigenes – vor allem die Spuren, die der Prozess und die Haftzeit hinterlassen. Dass Anna mir erlaubt hat, ihren Weg über so eine lange Zeit filmisch mitzugehen und dass sie sich dabei offen gezeigt hat, war ein großes Entgegenkommen. Sie hat den Film ohne Vorbehalte im Rohschnitt und der endgültigen Fassung akzeptiert und fühlte sich gesehen.
 
Wie hat sich Ihr Verständnis vom Beruf der Hebamme durch den Fall verändert?

Anna hat neben dem Beruf der Hebamme auch den Beruf der Ärztin über mehr als 20 Jahre ausgeübt. Diese Personalunion ist eine ungewöhnliche Situation. Für Anna und die betreuten Frauen hat sich dadurch das Spektrum erweitert, wie weit sie Frauen und ihre Familien betreuen konnte. Hebammen dürfen nur gesunde Frauen und gesunde Geburten betreuen und müssen andernfalls ärztliche Hilfe hinzuziehen. Anna war regelmäßig von Hebammenkolleginnen zu Geburten dazu gerufen oder bei medizinischen Fragen konsultiert worden. Bei Gericht wurde erstaunlicherweise Annas Ärztinnenberuf nicht wirklich gezählt – es hieß, sie sei Hebamme „mit Zusatzqualifikation Ärztin“. Das klang, als hätte sie nur eine kleine Fortbildung absolviert. Ich würde ihren besonderen Fall nicht in jeder Hinsicht für den Beruf der Hebamme verallgemeinern. Mir sind die juristischen Risiken des Hebammenberufs, gerade in der freiberuflichen Hebammengeburtshilfe, wo man keine Institution im Rücken hat, durch den Prozess sehr präsent geworden. Anders als zu der Zeit, als ich selbst seit 1983 mit der Betreuung von Hausgeburten begonnen habe, muss man heute eine sehr akribische, ausführliche Dokumentation und Aufklärung leisten, um sich juristisch zu schützen. Anna hielt dieses Vorgehen der schwangeren oder gebärenden Frau gegenüber für Angst auslösend und als einen Misstrauensantrag vorab, und sah kritisch, was man damit in die Schwangerschaft und Geburt hineinträgt. Ihre sparsame Dokumentation und zurückhaltende Aufklärung bei diesem in den Fachfragen sehr vorinformierten Paar wurde ihr bei Gericht belastend ausgelegt. Dennoch ist auch eine perfekte Dokumentation keine Garantie, dass man als Hebamme nicht in juristische Schwierigkeiten kommen kann. Ich weiß von Kolleginnen, die durch Schadensfallprozesse in wirtschaftliche Not geraten sind. Ich habe großen Respekt vor Kolleginnen, die auch heute Frauen ihre Hilfe bei Hausgeburten anbieten und für diese Wahlmöglichkeit stehen. Denn für manche Frauen - dazu zähle ich mich auch - ist die Intimität der eigenen vier Wände ein essenzieller Sicherheitsfaktor, konzentriert und ungestört eine gesunde Geburtsarbeit leisten zu können. Gerade heutzutage kann man beim sprichwörtlichen Fachkräftemangel und der Arbeitsverdichtung im Krankenhaus nicht immer sicher sein, dass man auf ausgeruhtes Personal trifft und eine Hebamme sich vollumfänglich nur um eine Frau kümmern kann, wie es bei einer Hausgeburt der Fall ist. 

Weitere Infos unter www.ladoc.de

Interview: Rüdiger Schmidt-Sodingen

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