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Das Schild des Siegfried

07. Juni 2021

Wie der Grafiker Siegfried Groß die Kinos rettete – Portrait 06/21

Von 817 runter auf 120. So verläuft die in Millionen jährlich verkaufter Kinotickets ausgedrückte Schussfahrt der BRD-Kinos von 1956 bis 1975. Nicht nur Opas Kino mit seinen Heimatfilmen und Western ist Mitte der Siebziger mausetot, auch zahllose Bezirks- und Dorfkinos schließen angesichts der erdrückenden Fernsehkonkurrenz und einer systematischen Bevorzugung der Innenstadtketten durch die Filmverleiher. In dieser schwierigen Zeit, in der sich auch noch ganz langsam das Home-Entertainment aufbaut, revolutioniert der Stuttgarter Grafiker Siegfried Groß, zunächst für die Agentur Degen, später dann auf eigene Rechnung, die westdeutschen Filmplakate und Kinodekorationen.



Groß‘ Einfallsreichtum schließt eine riesige Lücke, die die großen deutschen Filmplakatgrafiker hinterlassen haben – und bedient zugleich eine neue, auf Fotoplakate setzende Vermarktung, die, nicht zuletzt durch die Pornowelle veranlasst, endgültig die malerische Auseinandersetzung mit filmischen Inhalten verdrängt. Allein für die deutsche United Artists erfindet Groß unverwechselbare Motive – und wirft die Plakatstandards der Nachkriegsmaler Ernst Litter oder Rolf Goetze gezwungenermaßen über den Haufen. Groß arbeitet mit Pinsel, Fotos, Kopierer und Schere. Als Allrounder, der je nach Film und dessen Inhalt Arrangeur, Maler oder Karikaturist ist.

Von Pasolini bis „Star Wars“

Für Pier Paolo Pasolinis umstrittenen „Die 120 Tage von Sodom“ kreiert er Collagen, die den künstlerischen wie politischen Anspruch betonen. Für „Der Spion, der mich liebte“ lässt er Roger Moore als James Bond wie einen Warhol-Star in mehreren Farben drucken. Für „Einer flog über das Kuckucksnest“ arrangiert er Jack Nicholson so geschickt, dass das buchstäblich verrückte Szenario des Films greifbar wird. Auch den klassischen Genres ringt Groß neue Ideen ab. Charles Bronson stellt er auf dem Querplakat zu Michael Winners Spätwestern „Chatos Land“ in eine Welle schwappenden Blutes, Inspektor Clouseau alias Peter Sellers versenkt er für „Der beste Mann bei Interpol“ in einem Bierhumpen.



„Es war eine spannende Zeit“, sagt Groß, dessen erstes Filmplakat „Göttinnen der Liebe“ 1964 gedruckt wurde. „Es war ja so, dass wir mit unseren Entwürfen immer nach Frankfurt in die Zentralen mussten, um sie dort Verleihchefs wie Fred Sorg oder Hellmuth P. Gattinger vorzustellen. Wir waren also ständig am Basteln und Fahren.“ Viele Filme, für die Groß arbeitet, werden zu Klassikern und Langläufern – und reisen mit ihren Plakaten oft jahrelang durch Kinocenter und Programmkinos. Groß hat ein exzellentes Gespür für Bilder. Er weiß, wie man auch komplexe oder problematische Inhalte zeichnerisch pointiert und doch geschmackvoll zusammenfassen oder gar stilisieren kann.  

Die Dame mit den Tickets

Mitte der 1970er wendet sich Joachim Henkel vom Hauptverband Deutscher Filmtheater an Groß, um eine Kampagne zur Rettung der Kinos zu starten. Bald steht der Slogan fest: „Komm, wir geh’n in Kino“. Nun muss nur noch eine passende Illustration her. Groß macht mehrere Vorschläge und landet mit einer jungen Dame in Jeans, die freundlich ihre Hand in Richtung des Betrachters ausstreckt, einen Volltreffer. Zeitlos klar präsentiert sein Schild das Kino als Ort mindestens der Zweisamkeit, als perfekten Ort des Zusammenseins und -findens.  




Das Motiv wird auf Poster, Leuchtschilder und Aufkleber gedruckt – und mausert sich zur erfolgreichsten deutschen Kinokampagne aller Zeiten. Noch heute hängt das Schild in mehreren Dutzend Kinos im Foyer oder Eingangsbereich. Kurze Zeit später, 1980, malt Groß für die deutsche Fox das Plakat zum zweiten Star-Wars-Film „Das Imperium schlägt zurück“, das heute von Sammlern zu Höchstpreisen gehandelt wird und frech die Figur Yoda auf der Schulter Luke Skywalkers zeigt, was eigentlich von George Lucas gar nicht gewünscht wurde. „Ich wusste das ja nicht und habe einfach drauflosgemalt“, so Groß. 1982 wird die deutsche United Artists Teil des Joint Ventures United International Pictures und setzt, ebenso wie alle anderen Hollywoodverleiher, zunehmend auf einheitliche, internationale Motive. Kampagnenvorschläge oder originelle, nationale Eigenkreationen landen immer öfter im Archiv. Eines seiner letzten Plakate malt Groß 1987 für Peter Patzaks Krimi „Der Joker“.

Seit ein paar Jahren wird das Werk des Stuttgarters endlich wiederentdeckt und in Ausstellungen gefeiert. Und nun, mit knapp über 80 Jahren, hat Groß sogar den Auftrag bekommen, doch noch einmal ins Star-Wars-Universum einzutauchen und ein Plakat für die Disney-Plus-Serie „The Mandalorian“ zu malen. Manchmal schlagen eben nicht nur Imperien, sondern auch Künstler zurück.

Rüdiger Schmidt-Sodingen

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