„Digga“-Tragödie statt „Lümmel“-Komödie: Mit „Sonne und Beton“ bricht Felix Lobrecht mit den klassischen Kinokonzepten deutscher Komiker:innen.
16 Schulwechsel hatte Heinz Erhardt hinter sich, bevor er in Riga Verkäufer in der Kunst- und Musikalienhandlung seines Großvaters wurde, dann 1935 die Tochter des italienischen Konsuls heiratete und, was sonst, Komiker wurde. Als der aus zahlreichen Radiosendungen bekannte Erhardt in den 1950er Jahren das Kino entdeckte, war das der Anfang einer steilen Karriere. Wo sich Entertainer wie Peter Frankenfeld oder Hans-Joachim Kulenkampff schwertaten, ihren spontanen TV-Charme auf die Leinwand zu retten, blühte Erhardt geradezu auf. Er streute seine Gedichte und Versprecher ein – und konnte das eigentliche Erfolgsgeheimnis seiner Live-Auftritte, das in der unmittelbaren und vor allem sprachlichen Konfrontation mit den Erwartungen oder Verhaltensweisen der Anderen bestand, wunderbar in boulevardeske Familienkomödien übertragen.
Die satirische Schärfe und auch Boshaftigkeit, mit der der große Nachkriegsregisseur Kurt Hoffmann das singende Kabarett-Duo Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller durch Millionen-Erfolge wie „Wir Wunderkinder“ und „Das Wirtshaus im Spessart“ peitschte, war nicht Erhardts Sache. „Mein Vater“, sagte Sohnemann Gero Erhardt, der später Fernsehregisseur wurde, „hatte ja immer Angst, dass er plötzlich wieder abstürzen und sich das Publikum abwenden könnte. Deshalb tüftelte er in jeder freien Minute an neuen Sachen. Und wir Kinder durften ihn dabei auf keinen Fall stören.“ Erhardt wollte zudem versöhnen, nicht spalten.
Als in den 1970er Jahren das „neue deutsche Kino“ kam und gleichzeitig, als Gegenreaktion, die „Schulmädchen-Reports“ und „Tanten“-Komödien mit prominenten TV-Gesichtern auf den Spielplänen standen, kam der heitere Sprachakrobat Erhardt nur noch als vorsichtig systemkritischer Finanzbeamter Willi Winzig zum Zuge. Und ausgerechnet als der junge Hannoveraner Filmverleiher und Kinobesitzer Hans-Joachim Flebbe Erhardt-Klassiker wie „Der Haustyrann“ für seinen Impuls-Verleih wieder ausgrub, wagte Otto Waalkes den Sprung ins Kino.
Ottos parodistische Art, die ebenfalls erheblich von der Sprache lebte, potenzierte die Besucherzahlen des Kollegen Dieter Hallervorden, der mit gesichts- und körperakrobatischem Einsatz erstmals ein wirkliches westdeutsches Slapstickkino ermöglicht hatte. Auch Hallervorden spürte bald, dass 7-stellige Besucherzahlen eine „2-Faktor-Authentifizierung“ mit Komiker und ungewöhnlicher Story brauchen. Ausgerechnet seine frühe Wende-Abrechnung „Alles Lüge“ fiel an den Kinokassen komplett durch, während sie Wolfgang Stumph mit der ungleich freundlicheren Sachsen-Sause „Go, Trabi, Go“ gelang.
Nach einem kurzen Aufflackern des Kabarett-Films mit Gerhard Polt und zwei doppelbödigen Komödien Loriots, beides noch vor oder während der Wende, setzte dann, entsprechend den unzähligen Privatsender-Formaten, ein Comedy-Boom ein. Michael Bully Herbigs immens erfolgreiche Genreparodien, Til Schweigers Beziehungskomödien und Bora Dagtekins „Göhte“-Trilogie zogen Personality-Filme mit Mario Barth und Bülent Ceylan nach sich, die jedoch mit ihren ersten und wohl auch letzten Kinoausflügen deutlich kleinere Brötchen backen mussten.
Und jetzt, 2023? Anke Engelke zeigte letztes Jahr in „Mutter“, wie eine moderne Tragikomödie, die das Talent der Darstellung mit einer außergewöhnlichen filmischen Idee oder Geschichte mixt, aussehen kann. Engelkes „kleiner“ Auftritt entspricht dabei durchaus der aufwändigen, mit Laiendarstellern gedrehten Adaption „Sonne und Beton“ nach dem Buch von Felix Lobrecht. Beide Komiker:innen tragen buchstäblich den ganzen Film durch ihre leise, einmal sichtbare und einmal unsichtbare Präsenz. Vor allem: Beide Filme sind eigentlich Dramen um Gewalt und Perspektivlosigkeit.
Lobrecht gelingt etwas Außergewöhnliches, indem er das angebliche Klischee von der „schweren Jugend eines Komikers“ nicht nur bestätigt, sondern ehrlich abbildet – statt für sich selbst einen fiktiven Comedy-Film einzufordern. Er lenkt den Blick auf die Umstände seiner Jugend, die sich kaum geändert haben. Dorthin, wo Komik entsteht, wenn sie mit Herz und Verstand gesellschaftliche Zwänge und alte, neue Grenzen aufzeichnet. Statt „Lümmel“-Komödie schafft er eine „Digga“-Tragödie. Lobrecht ist klug und weiß, dass man über das Leben in den Hochhaussiedlungen nur lachen kann, wenn man es in einem geschützten Bühnenraum mit Distanz überdenkt. Sobald man es aber zeigt, also im Kino, mit Menschen vor Ort, kann es nur Richtung „La haine“ oder „Tee im Harem des Archimedes“ gehen. Dass das Publikum „Sonne und Beton“ derzeit begeistert folgt, beweist, dass Komikerinnen und Komiker ihr Publikum sehr wohl fordern können und sollten. Es lässt darauf hoffen, dass eine neue Generation nicht nur die Grenzen von oben und unten, sondern auch von Komödie und Tragödie einreißt.
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