Jim Jarmusch gilt als Prototyp des unabhängigen amerikanischen Filmemachers, der fernab von Hollywood unbeirrt seinem Stil und seinen Prinzipien treu bleibt – und das schon seit vier Jahrzehnten! Dass der Beginn seiner Karriere mit seinem weißen Haarturm ikonisch-eng mit Deutschland verknüpft ist, ist weniger bekannt. Sein Abschlussfilm „Permanent Vacation“ feierte auf der Mannheimer Filmwoche seine Uraufführung. Der damalige Leiter der WDR-Filmredaktion Wilfried Reichart hat den Film kurz darauf ins deutsche Fernsehen gebracht: „Auf einer Art Trade Show in New York war ‚Permanent Vacation‘ von Jarmusch zu sehen und Jarmusch stand da auch immer dekorativ traurig herum“, erinnerte er sich vor Jahren. „Da hat man ihn eben kennen gelernt, mit ihm was getrunken, die Filme angeguckt und schließlich habe ich die Rechte von ‚Permanent Vacation‘ gekauft. Der lief dann im WDR. Beim zweiten Film ist dann schon das ZDF, das Kleine Fernsehspiel, eingestiegen.“ 1982 wurde Jarmusch Regieassistent von Wim Wenders, der damals in den USA lebte und arbeitete. Der überließ dem Jungfilmer ungebrauchte Filmrollen, die Jarmusch für einen Kurzfilm verwendete. Den wiederum sah der deutsche Produzent Otto Grokenberger auf einem italienischen Festival und finanzierte die Langversion „Stranger than Paradise“ so wie den Nachfolger „Down by Law“. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.
Seitdem sind seine 15 Langfilme durchzogen von seinem Interesse an Sub- und Popkultur. Schon als Teenager war er fasziniert von der aufkommenden Gegenkultur der 60er Jahre, für die er etwas zu jung war. Über den Umweg des Literaturstudiums in Chicago und einen Paris-Aufenthalt hat Jarmusch nach New York und zum Film gefunden. Als dort Punk aufkam, war Jarmusch, Jahrgang ‘53, fast schon zu alt dafür. Doch er klinkte sich schnell in die New Wave- und die radikalere No Wave-Szene ein, gründete die Band The Del-Byzanteens, die 1982 ein Album veröffentlichte, und engagierte in seinen ersten, sehr von der New Wave-Ästhetik geprägten Filmen, Musiker der Szene für den Soundtrack, aber auch als Schauspieler. Der starke Bezug zu Musik zog sich weiter durch seine Filme – John Lurie, Tom Waits, Iggy Pop und andere hatten Auftritte, die Soundtracks waren musikalisch ausgesprochen eklektizistisch, er drehte Musikvideos und machte Dokumentarfilme über seine Helden Neil Young, Iggy Pop und The Stooges. Von dem harschen Cinema of Transgression, grenzüberschreitendes Underground-Kino der 80er Jahre von Leuten aus dem Umfeld der No Wave wie Richard Kern, war er weit entfernt, obwohl er es sicher schätzte. Er war neben Kern der einzige Filmemacher aus der Szene, der größeren, internationalen Erfolg hatte. Wenn Jarmusch nun einen Zombiefilm macht, erinnert das zwar an das Cinema of Transgression – und er weiß natürlich, dass Zombie- und Horrorfilme als Dystopien im besten Fall immer politisch sind. Aber auch heute realisiert er, der für seinen lakonisch-melancholischen Humor bekannt ist, natürlich die freundliche Version der Grenzüberschreitung.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
„Ich mag realistische Komödien lieber“
Josef Hader über „Andrea lässt sich scheiden“ – Roter Teppich 04/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
„Kafka empfand für Dora eine große Bewunderung“
Henriette Confurius über „Die Herrlichkeit des Lebens“ – Roter Teppich 03/24
„Versagen ist etwas sehr Schönes“
Regisseur Taika Waititi über „Next Goal Wins“ – Gespräch zum Film 01/24
„Ich muss an das glauben, was ich filme“
Denis Imbert über „Auf dem Weg“ – Gespräch zum Film 12/23
„Zufriedenheit ist eine innere Einstellungssache“
Stefan Gorski über „Ein ganzes Leben“ – Roter Teppich 11/23
„Ich fühle mich oft als Außenseiter“
Exklusiv: Teo Yoo über „Past Lives – In einem anderen Leben“ – Roter Teppich 08/23
„Das Leben ist im Doppel einfacher zu meistern“
Burghart Klaußner über „Die Unschärferelation der Liebe“ – Roter Teppich 07/23
„Petzold hat einen Reichtum an Anekdoten“
Enno Trebs über „Roter Himmel“ – Roter Teppich 04/23
„Ich hatte bei diesem Film enorm viel Glück“
Tarik Saleh über „Die Kairo Verschwörung“ – Gespräch zum Film 04/23
„Einen Körpertausch würde ich nicht gerne machen“
Jonas Dassler über „Aus meiner Haut“ – Roter Teppich 02/23
„Wir erlebten ein Laboratorium für ein anderes Miteinander“
Carmen Eckhardt über „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ – Portrait 05/24
„Ich wollte die Geschichte dieser Mädchen unbedingt erzählen“
Karin de Miguel Wessendorf über „Kicken wie ein Mädchen“ – Portrait 04/24
Die Ewige Wiederkunft des Gleichen
James Bennings „Allensworth“ bei der Viennale – Portrait 11/23
„Film als Grundversorgung statt als Risiko“
Alexander Scholz über die Ziele des Filmnetzwerks Filmkultur NRW – Portrait 10/23
Schelm und Wahrheit
Wenn Komik Ernst macht: Von Erhardt bis Engelke und Lobrecht - Portrait 03/23
Die „neue Eva“
Kinoheldinnen #6: Die französische Schauspielerin Karin Viard – Portrait 01/23
Hingerissen von den Menschen
Kinoheldinnen #5: Die Filmemacherin Lina Wertmüller – Portrait 12/21
Zwischen Vakuum und Aufbruch
Kinoheldinnen #4: Ostdeutsche Regisseurinnen – Portrait 11/21
Mutter der Actionheldinnen
Kinoheldinnen #3: Die Produzentin Gale Anne Hurd – Portrait 10/21
Das Schild des Siegfried
Wie der Grafiker Siegfried Groß die Kinos rettete – Portrait 06/21
Die Dinge des Lebens
Als in den Kinos die Lichter ausgingen - und wieder an – Portrait 06/20
Die Körperkünstlerin
Kinoheldinnen #2: Die Illustratorin Joann Daley – Portrait 04/20
Das Gesicht hinter der Scheibe
Kinoheldinnen #1: Die Kassiererin – Portrait 03/20