„Vielleicht ist es mein letzter Film“, schmunzelt James Benning, „ich muss langsam daran denken, was aus ihnen wird, wenn ich nicht mehr da bin. Das ist kein lustiges Thema.“ Der berühmte, vielleicht legendäre, sicher geduldigste US-amerikanische Experimentalfilmer bearbeitet zukünftig seine Tagebücher der letzten 72 Jahre. Jetzt, mit achtzig, hört er auf, sie zu schreiben und beginnt zu sortieren: „Und ich versuche, so ehrlich wie möglich zu sein.“ „Seeing and listening“ nannte er seine Seminare am Californian Institute of the Arts, wo er seit den 80ern Film unterrichtet. Menschen, die seine Filme zum ersten Mal sehen, beschreiben oft intuitiv, manchmal leicht schockiert, wie sie wirken: Gib acht, sei wach, gleich passiert es, sei geduldig, sei hier und jetzt, folge Deinen Gedanken und lass Dich von ihnen treiben, akzeptiere, dass Filme auch so sein können, als ob auf einem Gemälde die Farbe trocknet. Oder sie wenden sich gelangweilt, teils aggressiv ab.
So auch im Künstlerhauskino in Wien, wo die Viennale James Bennings „Allensworth“ von 2022 zeigt. Es sind zwölf Einstellungen, für jeden Monat des Jahres eine, die jeweils fünf Minuten dauern. Sie zeigen Gebäude aus Allensworth im zentralen Längstal Kaliforniens, eine ehemals arme, dürre Gegend, in der 1908 die erste von Afroamerikanerinnen selbst verwaltete Siedlung gegründet wurde und florierte. Bereits 1914 gab es ein Hotel, eine Schule, ein Gericht, eine Kirche und eine Bibliothek. Dann wurde ihnen die Zugverbindung gekappt und die versprochenen Wasserlieferungen nicht mehr eingehalten. Allensworth zerfiel. 1976 entstand dort ein Nationalpark, der an die Utopie erinnert und einige der Häuser der alten Siedlung rekonstruierte. Auf diese Häuser richtet James Benning seine Kamera und so vermisst er diesen Ort im doppelten Sinne.
Streng genommen sind es nicht nur Gebäude. Das erste Bild zeigt einen Strauch, wir hören die Eisenbahn im Hintergrund, wir sehen sie zwei Bilder später und in der Mitte des Filmes, im August, liest Faith Johnson Gedichte der afroamerikanischen Dichterin Lucille Clifton im rekonstruierten Schulgebäude. Das sind erstaunlich viele Menschen für einen Film von James Benning, aber auch hier zeigt sich, dass er mit seinen Filmen etwas sucht und nicht streng einer Methode folgt. „Ich bin in Milwaukee aufgewachsen, an der Grenze des weißen zum schwarzen Ghetto, mit allen Vorurteilen, die das mit sich bringt.“ Als Sohn deutscher Einwanderer durfte er Mathematik studieren, weil er ein guter Baseballer war. Erst die Rassenunruhen der sechziger Jahre politisierten ihn. Und der Kampf mit dem Hass auf die Schwarzen, der ihm als Kind beigebracht wurde, hat ihn nie losgelassen. Die Gegend in „Allensworth“ ist auch seine Gegend, er lebt in Valverde und Pine Flat. Etwas im Norden des Beckens, in den Bergen, rekonstruierte er für seine filmische Installation „Two Cabins“ die Hütte von Henry David Thoreau und daneben die des Unabombers. Ein gute und eine böse Hütte. Bennings Filme geben keine Haltung vor, aber sie betrachtend sucht jeder danach, wie sie zusammenhängen.
Die letzte Szene zeigt den Friedhof von Allensworth, außerhalb der rekonstruierten Siedlung. Es gäbe einiges zu tun, viele Fragen sind offen, zum Beispiel, wer alles dort liegt, aber das Fördergeld fließt in die landwirtschaftlichen Projekte. Das, was damals von den Gründerinnen von Allensworth begonnen wurde, passiert heute in großem Maßstab und ernährt abertausende Menschen. Es weht Musik durch Bennings Film, „Blackbird“, gesungen von Nina Simone, aber vor allem Huddie Ledbetters „In the Pines“, ein Song, den erst die US- amerikanische, weiße Rockband Nirvana in den Neunzigern in einen Hit verwandelte. Selbst das Kleid, das Faith Johnson während ihrer Lesung trägt, erzählt eine Geschichte. Die Initiative in Allensworth will Bennings Film im Nationalpark zeigen, aber er zögert noch: „Ich bin etwas schüchtern darin, meine Filme vor echten Menschen aufzuführen.“ Sie funktionieren seiner Meinung nach nur im Kunstkontext, anderswo seien sie ein „flaw“, ein Mangel, eine Schwachstelle, ein Fehler, ein Riss oder ein Bruch - muss das übersetzt wohl heißen.
Und trotzdem, er wirkt zufrieden, alle seine Filme durchzieht Humor. Wenn der deutsche Experimentalfilmer Werner Nekes recht behält damit, dass nach dem Tod alle ihre eigenen Werke immer und immer wieder sehen oder lesen müssen, dann ist das für James Benning keine schlechte Aussicht. Sie sind wie ein warmer Fluss, wie Trance, sie schärfen den Blick, sie sind persönlich und sie machen sich nichts vor. Auch wenn Benning sicher nicht an ein Leben nach dem Tod glaubt und Werne Nekes das im Unterricht nur erzählte, damit die Studierenden nicht allzu unüberlegt und schnell irgendetwas produzieren. Benning arbeitet allein, „Allensworth“ hat nur ein paar tausend Dollar gekostet, das meiste davon für Benzin. Natürlich strahlt sein Werk eine große Einsamkeit aus, er ist mit Sicherheit der Filmemacher mit den meisten Kilometern auf dem Tacho und vielleicht sogar ein Auslaufmodell. Als Benning in Wien darauf angesprochen wird, ob er irgendwo in der Welt noch Hoffnung sieht, verneint er, aber er hat in den letzten fünfzehn Jahren viel mehr Filme gemacht als in den dreißig zuvor. Da kommt noch etwas und mit Sicherheit mehr als nur das Archiv.
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