In den späten Siebzigern war es, als die beiden Filmemacher John Landis und Ivan Reitman mit „Animal House – Ich glaub, mich tritt ein Pferd“ (1978) und „Stripes – Ich glaub mich knutscht ein Elch“ (1981) zwei Kultkomödien über das Männerleben an Universitäten und Militärakademien schufen. Beide Filme atmeten den Geist des 1970 gegründeten Satiremagazins National Lampoon, das sich mit Vorliebe über amerikanische Heiligtümer hermachte – und dazu krachend komisch das Infantile im Erwachsenen entlarvte. Männern bei ihren absurden, obszönen, machohaften „Out of office“-Ritualen zuzusehen, entpuppte sich als ein ganz eigenes, offensichtlich befreiendes Unterhaltungselement des US-Kinos. Angetrieben vom Erfolg dieser Jungmänner-Komödien und den nostalgischen „Eis am Stiel“-Klamotten Boaz Davidsons, entstanden in den frühen achtziger Jahren Filme wie „King Frat – Die Wildschweine sind los“, die „Porky’s“-Trilogie und „Bachelor Party“. Sie schraubten das Teenagerkino der fünfziger Jahre ein paar ordentliche Umdrehungen weiter, mokierten sich über die Yuppie-Ära und zeigten Jungs im College, beim Springbreak, am Vorabend der Hochzeit. Was kommt schon danach, fragten sie lakonisch wie rhetorisch. Was bleibt, wenn die Bäuche dicker werden, die Haare weniger, die Lust auf Alkohol und Sex bedenklich schwankt? Höchstens Einkaufen im Heimwerkermarkt, Geldverdienen, Pokerrunden. Also nichts. Neue Freunde sind passé, denn jeder sorgt sich nur noch um die eigene Familie, die als Firma begriffen wird, in der Geld und „Return of Investment“ stimmen müssen. Der Mann träumt sich folglich in Hotelzimmern, Bars und Hooters zurück in die Zeit davor, als Geld nicht wichtig war, die Berührung fremder Körper Frieden verhieß und man sich im Rausch die Absolution für die dummen Berufspläne, reaktionären Politikansichten und verschwendeten Werktagsleben holte. Jeder Absturz spiegelt die Sehnsucht nach Normalität und einem einfachen Leben, konstatierte Peter Sloterdijk in seinem Buch „MedienZeit“. Die Wiederherstellung der Normalität ist am Tag nach dem Filmriss oder Exzess oft nur mithilfe einfacher Leute möglich, die einem in Notsituationen viel mehr helfen können als ein intriganter Chef oder ein dickes Bankkonto. So gesehen feierten die amerikanischen Party-, College- und Sexkomödien schon immer ein Kinopublikum, das von Standesdünkeln, Doktortiteln oder Investmentbanking zurecht nichts wissen will. Und Sex, Liebe und Freundschaft als die wirklich wahren Werte anerkennt. Ähnlich wie das Genrekino wurde auch die katharsisch wirkende Partykomödie Mitte der achtziger Jahre vorübergehend zu Grabe getragen. Sie machte Platz für ein neues Qualitätskino mit epischen Geschichten, kalkulierten Bestsellerverfilmungen und harmlosen Familienkomödien. John Belushi war da schon tot, ein Mann wie Steve Martin aus den wilden Gewässern von „Der Mann mit zwei Gehirnen“ und „Solo für 2“ in die rosarote Sitcom-Welt von „Eine Wahnsinnsfamilie“ und „Vater der Braut“ verfrachtet worden.
Bachelor Party 2.0
Da das Kino Wellenbewegungen unterworfen ist, war auch eine Rückkehr der sexuell aufgeladenen Coming-of-Age-Comedy absehbar. „American Pie“, „Verrückt nach Mary“ und „Road Trip“ kratzten immer mal wieder am glatten Blockbusterkino. Als der 1970 in Brooklyn geborene Independent-Filmer Todd Phillips das Kinopublikum 2009 zu einem „Bachelor Party“-Update an den Schauplatz Las Vegas bat, katapultierte er die Muster der „guten alten Teenager- und Sexkomödien“ im Nullkommanichts zurück an die Spitze der internationalen Kinocharts. Phillips legte mit einer wilden Junggesellenparty, die mit einem totalen Black Out und dem Verlust des kurz vor der Hochzeit stehenden Freundes endet, alte, neue Gags und Ängste frei – und drehte en passant die Komödie zum Ende der Bush-Ära. Was, wenn der Rausch vorbei ist? Was, wenn die Party gar keine war? Und wenn es keine Party war, was war es dann? „Hangover“ mischt perfekt Oberflächenkino mit unterbewussten Zukunftsängsten und der Sehnsucht nach einem nicht enden wollenden Sommer. Dazu arrangiert er die Sexwitzchen und Unflätigkeiten einer ausgeträumten Jugend gleichberechtigt neben einem krimiähnlichen Wettlauf gegen die Zeit – „Memento“ mit den Drei Stooges, wie es die Washington Post ausgelassen formulierte. „Hangover 2“ variiert die Geschichte des Originals am Schauplatz Thailand nur unwesentlich – und ist dabei eher Remake statt Sequel. Phillips aber weiß, was er den Fans schuldig ist. In diesem Sinne ist „Hangover 2“ wie ein Abend, der den Lieblingsfilm noch einmal rekapituliert, mit einer Prise Exotik, wilden Kreaturen, schrulligen Typen und klebrigen Polstern in Hotels und Taxis. Der eigentliche Verdienst des Brooklyn-Boys Phillips liegt in seinem Wissen um die Filmgeschichte, seinem unbedingten Glauben ans Underground-Kino und die universellen Werte der Jugend. Warum sollte das, was uns in der Jugend begeisterte, mit Mitte dreißig plötzlich falsch sein? Phillips ist ein Autorenfilmer aus Amerika. Er machte seine ersten filmischen Gehversuche mit den Dokumentationen „Hated“ (1994) und „Frat House“ (1998), bevor er mit „Road Trip“ (2000) und „Old School“ (2003) erste Kassenknüller landete. Die Inhalte seiner Filme sind zeitlos, sie spiegeln die Verunsicherung der Männer, rufen aber gleichzeitig zu einem Miteinander über alle gesellschaftlichen Grenzen hinweg auf. So gesehen sind Phillips’ Figuren sehr nah an den Protagonisten aus Chuck Palahniuks Kultroman „Fight Club“, wo die körperfeindlichen, asexuellen Bürotätigkeiten zu einer unendlichen Sehnsucht nach körperlicher Aktion und ekstatischer Genugtuung führen. „Wir lesen auf der Toilette keine Pornos mehr, sondern den Ikea-Katalog.“ In „Old School“ sind Dicke und Alte die wahren Stars einer inoffiziellen Studentenverbindung, die nach diversen Exzessen Liebe und Freundschaft als wichtigste Werte lobt und den Konsumterror mit Schlammcatchen und Nacktläufen niederringt. Neben seinen Filmen veranstaltete Phillips zwischen 1994 und 2008 das New York Underground Film Festival. 15 Jahre lang huldigte er dort kuriosen Kurz-, Experimental- und Dokumentarfilmen, und verbeugte sich vor Persönlichkeiten wie Doris Wishman oder Al Adamson sowie der schier grenzenlosen Kreativität eines vom Studiosystem abgekoppelten Genrekinos. Zuletzt machte er sich fürs Kinoerlebnis stark, indem er der Idee eines exklusiven Video-on-Demand-Fensters kurz nach Kinostart eine klare Absage erteilte. „Tut mir leid, aber ich drehe fürs Kino.“ Vor allem führt Phillips mit „Hangover“ und „Stichtag“ nämlich die Themen der großen Komödienmacher John Landis, Ivan Reitman, John Hughes und Carl Reiner weiter, die alle wussten, dass Sex, Größenwahn, Machismo und Militarismus die wahren Koordinaten eines Männerlebens sind. Und der Mann für ein Happy End mindestens einen dieser Triebe ausschalten muss.
"Hangover 2" startet am 1.6. in den Kinos.
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