Das Patriarchat demonstriert in Köln seine geballte Herrlichkeit im Karneval. Prinz, Bauer und Jungfrau sind hier scheinbar unantastbare männliche Hoheitsgebiete. Frau darf als bevorzugt blondes, junges Wesen eingefasst im knappsten Röckchen von den tanzenden Offizieren herumgeworfen, vom euphorisierten Publikum beklatscht und vor allem nach Herzenslust begehrt werden. Es reicht – finden nicht nur Andrea Bleikamp, Anna Möbus und Alina Rhode. Vereint als Theaterensemble A3 debütieren sie mit ihrer Produktion „Der Fall Ransohoff“ im vollbesetzten Foyer der Orangerie. Angelehnt an ihre Namenspatronin Gerti Ransohoff, eine weit über die Stadtgrenzen bekannte Büttenrednerin in den 1920er und 30er Jahren, entwirft das Kollektiv eine Utopie: die Absetzung der männlichen Dominanz im eigentlich machtkritischen Karneval.
Eingebettet in die tragische Geschichte um Gerti und ihren jüdischen Ehemann Paul, die sich am 21. und 16. Mai 1932 scheinbar wegen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen das Leben nahmen, inszeniert Regisseurin Bleikamp eine Erzählung, die zugleich Schauspiel, Satire und Dokumentation ist. Dabei gelingt dem Darstellerduo Möbus und Rhode das Kunststück, die Kritik an den Verhältnissen über weite Strecken als liebevolle Botschaft an seine Heiligkeit, das Festkomitee des Kölner Karneval, zu adressieren. Insbesondere dessen Präsident spielt in der rund 80-minütigen Produktion von A3 (in Abwesenheit) eine weitere Hauptrolle. Nicht in Wut getränkt zielen die Pfeile der Theatermacherinnen auf essentielle Veränderungen, sondern mit Empathie und Intellekt. Das trifft nach anfänglicher Verwunderung über ein scheinbar zurückhaltendes Temperament der Figuren letztlich doch mitten ins Ziel, denn nicht die Zerstörung, sondern die Erneuerung des Kölner Karnevals ist das Anliegen. Mit kluger Handschrift wird dagegen das dunkelste Kapitel der Geschichte in kakophonische Klänge und verzerrte Fratzen gehüllt: Den Rassenwahn der Nationalsozialisten spiegelt das Ensemble in Horrorclown-Masken und erschreckenden Rosenmontagsumzugsbildern wider, auf denen jüdische Mitbürger an den Pranger gestellt werden. „Der Fall Ransohoff“ ist ein wahres Märchen, das noch nicht zu Ende erzählt ist.
Der Fall Ransohoff – Frauen im Karneval | 29., 30.3. | Orangerie Theater | 0221 952 27 07
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