Verschleiern, verschweigen oder vergessen – das sind Strategien, mit denen wir unsere Privilegien gegenüber marginalisierten Gruppen kleinreden. Wie man diesen Psychotricks beikommt, das erproben jetzt Lenah Flaig und Josefine Patzelt von Flies&Tales mit ihrer Tanzperformance „Criminal Pleasures“. Der Bogen des Abends ist dabei weit gespannt: Ungerechtigkeit auf ökologischer Ebene wird genauso benannt wie auf der Ebene von Geschlecht und Herkunft, so Josefine Patzelt. Zwar kommen bei der Überprüfung von Privilegien auch immer wieder persönliche Geschichten zum Tragen, doch Schuldzuweisungen mit erhobenen Zeigefinger wollen die beiden Performerinnen vermeiden: „Wir alle sind in unterschiedlichen Situationen in unserem Leben mal Opfer und mal Täterin gewesen“, sagt Lenah Flaig. Außerdem weiß das Duo nur zu gut, dass sie bei „Criminal Pleasures“ quasi als „Täterinnen“ ihre eigenen Taten untersuchen. Da hilft nur eine gehörige Portion (Selbst-)Ironie, und die schlägt sich auch in der Form nieder. „Wir haben uns“, so Lenah Flaig, „mit dem Genre des True Crime beschäftigt.“
True Crime und Theater? Die Frage ist nur auf den ersten Blick berechtigt, denn Lenah Flaig und Josefine Patzelt haben genau hingeschaut. „Bei der Analyse haben wir festgestellt, dass sich das Format gar nicht so sehr von einem klassischen Theaterstück unterscheidet“, erläutert Josefine Patzelt – es gebe ein Problem, Details kommen ans Licht, biographische Details werden enthüllt, das Publikum rätselt mit, es gibt Wendungen und idealerweise kommt es zur Aufklärung bzw. zum Urteil. Verbrechen werden damit letztlich konsumierbar gemacht. Der besondere Reiz liegt darin, dass True Crime und Privilegiencheck mit Tanz kombiniert werden: „Durch die Körpersprache“, so Lenah Flaig, „kann Unsagbares wie Schmerz, Freude, Verlust sagbar gemacht werden.“ Außerdem tritt zur Körpersprache noch eine Off-Stimme als kollektive Vermittlungsinstanz hinzu. Und da True Crime-Geschichten zwar spannende Verbrechen enthüllen, aber dafür selbst einen unterhaltsamen Spannungsbogen brauchen, verfügt auch „Criminal Pleasures“ über einen „Rahmen, der sich über das ganze Stück spannt“, erzählt Josefine Patzelt. Selten war es vermutlich so unterhaltsam, sich die eigenen Privilegien einzugestehen.
Criminal Pleasures | 19. - 22.9. | Orangerie Theater | 0221 952 27 08
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Die Hoffnung muss hart erkämpft werden“
Regisseur Sefa Küskü über „In Liebe“ am Orangerie Theater – Premiere 11/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
„Das Ganze ist ein großes Experiment“
Regisseurin Friederike Blum über „24 Hebel für die Welt“ in Bonn und Köln – Premiere 10/24
Wege aus der Endzeitschleife
„Loop“ von Spiegelberg in der Orangerie – Theater am Rhein 04/24
Das Theater der Zukunft
„Loop“ am Orangerie Theater – Prolog 04/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
„Wir wollten die Besucher:innen an einem Tisch versammeln“
Subbotnik zeigt „Haus / Doma / Familie“ am Orangerie Theater – Premiere 02/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Trauma und Identität
„Mein Vater war König David“ in Köln – Theater am Rhein 10/23
Die extremste Form des Protests
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Prolog 10/23
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Schussbereite Romantik
„Der Reichsbürger“ in der Kölner Innenstadt – Auftritt 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Freude und Bedrückung
35. Vergabe der Kölner Tanz- und Theaterpreise in der SK Stiftung Kultur – Bühne 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Vererbte Traumata
Stück über das Thiaroye-Massaker am Schauspiel Köln – Prolog 12/24
„Andere Realitäten schaffen“
Dramaturg Tim Mrosek über „Kaputt“ am Comedia Theater – Premiere 12/24
Lang lebe das Nichts
„Der König stirbt“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/24
Tanzen gegen Rassentrennung
„Hairspray“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 11/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24