Flammen. Rot-gelb-bläuliche Zungen tanzen, schleudern den Durst des dritten Elements in die Nacht. Sie vereinigen sich zu nahender Endgültigkeit, schleichendem Schlaf, aus dem kein Erwachen mehr ins weiche Kissen gerinnt. Sanft knistert die Dunkelheit entlang des Verstands: Katharsis der Sinne, Auszeit der Ewigkeit.
Nach Erde und Wasser in den Vorgängerinszenierungen „Le Cri“ und „Liquid“ beschwört das Ensemble von Wehr51 in „Pyrofems“ die Gottheiten des Feuers. Janine d‘Aragona, Anna Möbus und Asta Nechajute wringen Lust und Schmerz in ein benzingetränktes Hochzeitskleid, das als perfekte Garderobe auch auf Beerdigungen jeder Etikette entspricht. In einer 70-minütigen, hochentzündlichen Mischung aus naturwissenschaftlicher Dokumentation, Ethik-Diskurs und theatraler Performance gelingt unter der Regie von Andrea Bleikamp im Studio Trafique ein zeitgenössisches Drama, das den Kipppunkt ins bodenlose Zeitalter mit Leichtigkeit überwindet. Die Richtungsentscheidung der Menschheit ist mit überwältigender Mehrheit in sämtlichen Räten längst gefallen. Es geht abwärts. Als Quellen dienen kilometerlange Protokolle der Umweltgipfel respektive Weltklimakonferenzen der in Uneinigkeit vereinten Nationen seit dem Jahr 1979. Den globalen Flächenbrand verhinderten die Schaubühnen für nationale Eitelkeiten nicht, förderten dagegen aber die Strategien zur Aufrechterhaltung des Wohlstands oder der politischen Machtstrukturen einzelner Länder.
Im Angesicht von Lügen, Korruption, Drohungen und Verdrängungen vergießen die Darstellerinnen imdurchaus revolutionär geprägten Stückzykluskeine einzige Träne. Im Gegenteil: Das Kollektiv nährt die Feuerwand mit dem besten allermenschlichen Sinne: dem Wahn, dargereicht in berauschenden Untergangsfantasien, unterlegt mit einem Soundtrack wilden Gelächters. Im Ach-wie-schrecklich-und-hoffnungslos-Mantra werden ich, du, wir, sie gnadenlos als lächerliche Pappfiguren, die vor allem durch die Unfähig zur Einsicht hervorstechen, folgerichtig verheizt.
Das Stück skizziert einen mitreißenden Pfad zum Vorhof zur Hölle, der nachhaltiges Wirtschaften und die Verpflichtung gegenüber folgenden Generationen erfolgreich umgeht. In der Bosheit ihrer Botschaften offenbart sich der Keim einer möglichen Gesundung noch vor dem Ende der Lebensformen. Hier helfen keine Gebete, Appelle oder einseitige Kompromisse. Es braucht verdammt viel Wut und die Freisetzungverschütteter emotionaler Energien, um der Spirale der Beschränktheit zu entkommen. Die „Pyrofems“ wachsen im Zuge der Aufführung zu einem schwarz-leuchtenden Rabenturm, bis über den Dachgiebel gefüllt mit Wucht, feministischer Weitsicht – und Abscheu vor zivilisatorischen Fortschritten wie Demokratieabbau, dem Ausbau von Kriegsmaschinerien, dem Raubbau an Ressourcen oder der Stärkung des Ur-Patriarchats. Siehalten dem Feuer die einzige Waffe entgegen, die wirken könnte: Feuer. Welch eine Läuterung. 2026 soll mit „Luft“ das Finale eines wiederbelebenden Kreislaufs folgen. Bis dahin halten wir den Atem an.
Pyrofems | 15., 16., 17.1. 20 Uhr | Studio Trafique | www.studio-trafique.de
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