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Oleg Zhukov (l.) und Kornelius Heidebrecht (r.)
Fotos: Subbotnik

„Wir wollten die Besucher:innen an einem Tisch versammeln“

30. Januar 2024

Subbotnik zeigt „Haus / Doma / Familie“ am Orangerie Theater – Premiere 02/24

Seit einigen Jahren erarbeitet die Gruppe Subbotnik um das Trio Oleg Zhukov, Kornelius Heidebrecht und Martin Kloepfer ihren „Haus / Doma“-Zyklus aus begehbaren Installationen, der sich mit dem Zusammenleben als Gesellschaft befasst. Nun zeigt das Orangerie Theater den vierten Teil.

choices: Herr Zhukov, Herr Heidebrecht, Ihre neue Produktion trägt den Titel „Haus / Doma / Familie“. Was verbindet das Haus mit der Familie?

Oleg Zhukov (OZ): Bei der früheren Folge „Haus / Doma / Lustdorf“ haben wir einen Ort und ein Haus über mehrere Generationen und Zeiten hinweg betrachtet und seine Veränderungen beschrieben. Beim Thema „Familie“ war uns schon früh klar, dass wir diesmal das Haus nicht von außen betrachten, sondern es öffnen und Leute in dieses Haus einladen wollten, ähnlich wie Gäste bei einer Art Familienfeier. Wir wollten die Besucher:innen quasi an einem Tisch versammeln und das Haus als einen Ort beschreiben, an dem die Familie zusammenkommt. Das andere Motiv war, dass wir in der Produktion nicht eine Familiengeschichte erzählen wollen, sondern dass wir sehr viele Künstler:innen eingeladen haben, die alle etwas zu diesem Fest beitragen: Wir haben fünf Musiker:innen, wir haben eine Videokünstlerin, wir haben ein Installations-Duo aus Berlin eingeladen. So ist dann dieses „Familienfest“ mit sehr unterschiedlichen Perspektiven entstanden.

Das Haus wäre damit der Schnitt- und Treffpunkt für familiäre Zusammenhänge. Ist das Haus auch ein Speicher der Erinnerung, der Schönes und weniger Schönes aufbewahrt?

OZ: Genau. Wir haben während der Erarbeitung festgestellt, dass wir alle unser Haus wie so ein Schneckenhaus mit uns schleppen, ohne dass wir da immer drin sind. Der Begriff „Haus“ ist nicht materiell, sondern auch als Metapher gemeint.  Manchmal ist das Haus der Großeltern gar nicht mehr da. Oder es ist unklar, was mit den Häusern passieren soll – wie beiKateryna Liashchevska, die aus Kiew kommt, oder bei Kornelius Heidebrecht, der aus Minsk stammt, oder beim Haus meiner Großeltern. Für viele Menschen, die aus Osteuropa kommen, ist das Thema des Hauses gerade überhaupt keine Frage. Nadja Duesterberg sagt im Stück den Satz „We have to let it go“, wir müssen es loslassen, um im Jetzt anzukommen. Manchmal hindern uns diese Häuser daran, einen Schritt weiterzugehen. Deshalb verhandeln wir im Stück auch die Frage, inwieweit man an diesen alten Bildern des Hauses festhalten will oder inwiefern man das loszulässt und offen ist für neue Gemeinsamkeiten. 

Werden in diesen Häusern auch die Erzählungen der Familie geschaffen, die sich von Generation zu Generation fortschreiben?

OZ
: Ja, total. Wir haben uns auch mit der Weitergabe der Narrative beschäftigt. Wir gehen aber nicht nur von den negativen oder traumatisierenden Erfahrungen in der Familie aus. Für uns war es auch wichtig, der Familie auch die Kraft der Genesung und Heilung zuzuschreiben. Welche gesunden Anteile wollen wir eigentlich aus unseren Erfahrungen mitnehmen? Und was würden wir aus unserer Familie zu einem Fest mitbringen und gerne weitergeben? Narrative müssen nicht nur Erzählungen sein, sie können auch ein Tanz sein, bestimmte Tisch- oder Ankommensrituale. Derzeit wird der Begriff der Familie sehr stark von rechten Bewegungen im Sinne einer nationalen Keimzelle beansprucht, die sich in einem Haus versammelt und gegen außen abschließt. Das wollen wir genau nicht, sondern setzen eine Familie in das Haus, die man als Künstler-Wahlfamilie beschreiben könnte. Das Haus ist da, die Kernfamilie ist ausgezogen und wir ziehen da jetzt ein und besetzen das Haus neu. So wie wir eben auch arbeiten: als Kooperative; das ist unsere wahre Familie neben der Verwandten-Familie. 

Gibt es eine gesellschaftliche Tendenz, wonach neben der Verwandten-Familie zunehmend auch die Wahlfamilie eine große Rolle spielt?

Kornelius Heidebrecht (KH):
Der Familienfamilie kann man letztlich ja nicht entkommen. 

Aber der künstlerischen Familie könnten sie doch eigentlich noch entkommen, oder?

OZ
: Nein, auch nicht mehr (lacht). Dazu ist es zu spät! Bei Kornelius, dessen Eltern künstlerisch tätig sind, gab es eigentlich immer schon eine Vermischung von Künstlerfamilie und Hausfamilie. Vielleicht ist ja diese radikale Trennung gar nicht notwendig. Eigentlich ist das Haus, das von mehreren Generationen bewohnt wird, in dem sich sowohl verwandtschaftliche Familien als auch die neu gewonnene Familie der Freunde oder Künstler zusammenkommen, eigentlich ist das die perfekte Mischung. Bei den Geburtstagen von Kornelius ist das spürbar; es ist familiär, ohne auf die Kernfamilie beschränkt zu sein. Und dieses Gefühl haben wir versucht, in die Arbeit zu übertragen. Wenn man 10 Jahre zusammenarbeitet, ist man ja auch eine Familie.

KH: Wenn wir über Familienkonstellationen wie Großeltern, Vater, Sohn und Geschwister reden, klingt da auch so eine Schwere mit. Und wenn wir meine Eltern bei uns in die Performance integriert hätten, dann hätten wir uns auch mit dem Thema Identität und Identitätsverlust beschäftigen müssen. Denn meine Eltern singen zum Beispiel auf Familienfesten immer auf Russisch, das wäre aber in einer Performance von Subbotnik etwas merkwürdig gewesen. Um aus diesem Dilemma rauszukommen, haben wir gesagt, wir machen jetzt einfach Musik. Und die Musiker, mit denen wir seit mehr als 10 Jahren zusammenarbeiten, stammen nicht nur aus verschiedenen Generationen, sondern auch verschiedenen Ländern. Wir haben dann über Stunden improvisiert und haben über die Musik und das Geräusch in eine Form der sprachlosen Kommunikation gefunden, in der wir miteinander reden oder auch nicht reden. Diese Herangehensweise, außerhalb der Sprache zu arbeiten, hat uns total Spaß gemacht. Das war wie ein Multiversum; da öffnen sich ganz unterschiedliche Welten, ohne dass du sie genau benennst.

Welche Rolle spielt der interkulturelle Aspekt für eine Familienkonstellation?

OZ
: Klassische Familienbilder, mit denen wir ja auch gearbeitet haben, zeigen meist die Menschen vor einem Haus, in der nächsten Generation gibt es dann ein ähnliches Bild. Wir haben für uns aber festgestellt, dass Familien sich viel mehr über Migration und über Bewegung definieren und weit weniger über ein Verweilen an einem Ort. In unserer Textfassung stand auch mal die Überschrift „Stories from Arrival and Departure“, also Geschichten von Ankunft und Verlassen. Diese Prozesse können geographischer Natur sein, können politischer, persönlicher, psychischer oder künstlerischer Natur sein. Die Bilder bleiben nicht starr, sie sind veränderbar, immer in Bewegung. Letztlich liegt in diesem Miteinander-Zeit-an-einem-Tisch-Verbringen einfach die Gemeinsamkeit. Das ist der große gemeinsame Nenner der Familienfeiern. Man isst etwas, man trinkt etwas, dann erzählt jemand eine Anekdote, dann streitet man sich, dann will man weg, dann bleibt man doch, manchmal wird gesungen und getanzt, manchmal nur gemeinsam gegessen. Durch die Tafel entsteht eine Gemeinschaft, die eine gemeinsame Erfahrung teilt. Und genau da knüpfen wir in unserer Performance an, wenn wir das Publikum an unsere Tafel einladen. Man schaut sich die ganze Zeit ins Gesicht; Menschen, die man vorher nicht kannte. Und alleine das macht schon etwas mit den Menschen.

Haus / Doma / Familie | 1. - 4.2. | Orangerie Theater | 0221 952 27 08

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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