Der Körper ist an allem schuld. Unberechenbar, von Lüsten getrieben, empfänglich gegenüber Krankheiten und Verletzungen, gilt es, ihn unter absolute Kontrolle zu bringen. Eine Horror-Vision, auf die wir frontal zusteuern, wie Kult-Autorin Juli Zeh glaubt. In ihrem Roman „Corpus delicti“ wird der Körper auf doppelte Weise zum Ort des Verbrechens – zunächst, weil er von den Sicherheitskräften der Krankenkassen immer unter Verdacht gestellt wird, darüber hinaus hat sich aber auch ein tatsächliches Verbrechen ereignet. Irina Miller inszeniert „Corpus delicti – Ein Prozess“ mit den angehenden Schauspielern des Akademietheaters. Im Zentrum steht ein Gerichtsverfahren, in das die Schwester eines vermeintlichen Mörders, der sich selbst im Gefängnis das Leben genommen hat, verwickelt wird. In der Orangerie errichtet man eine Zukunftswelt mit kalten Elektroklängen, kurzen Tanzeinlagen und einem Ambiente, das ein Techno-Labor mit einem Konversationsstück kreuzt.
Die Bühne lässt sich sehr auf den Realismus von Juli Zeh ein. Auch in den Dialogen bleibt Irina Miller nahe an der Prosa-Vorlage. Die Folge ist eine dreistündige Aufführung, in der mutige Streichungen für mehr Spannung gesorgt hätten. Mit der kleinteiligen Dramaturgie wurde eine Chance verspielt, da Irina Miller durchaus mit Tempo zu inszenieren versteht. Die zahlreichen Szenenwechsel zwischen Gerichtssaal und Wohnzimmer-Konversation gelingen ihr zumeist problemlos. Knappere Dialoge hätten auch das Sujet des Überwachungsstaats deutlicher werden lassen und den einzelnen Rollen eine konturiertere Wirkung geschenkt. Im achtköpfigen Ensemble wirken Michèle Akouvi Müller und Thorben Bartholomay besonders sicher in ihrer Bühnenpräsenz. Solide Arbeit im Schauspielbereich wird offenbar am Akademietheater geleistet und letztlich bleibt die Leistung, eine so komplexe Vorlage auf die Bühne zu bringen, sehr beachtlich.
Corpus delicti – Ein Prozess | R: Irina Müller | Di, 12.6. 20 Uhr | Orangerie-Theater, Volksgartenstr. 25, Köln
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