Ein Fernsehballett gibt es nicht. Also tanzen Manuel Moser und Tim Mrosek selbst den Opener – ein Medley von „Staying Alive“ bis „Rocky“, zu dem im Hintergrund eine Bilderflut von Ikonen aus Popkultur, Politik und Warenwelt den zeitlichen Rahmen anreißt. Die Bühne ist stilecht als Fernsehstudio mit Showtreppe, Schreibtisch samt Telefon (auf dem „die Regie“ oder „der Notar“ durchklingeln) und Polstersitzecke eingerichtet. „Willkommen auf der deutschen Couch“ heißt das selbsternannte theatrale Politmagazin im Untertitel, und eben dort plaudern die Showmaster und empfangen Gäste aus Politik und Gesellschaft (die langjährige Landtagsabgeordnete Anke Brunn war bei der Premiere, Gregor Gysi soll im Januar kommen).
Nach drei Produktionen, die sich mit dem „Aufbruch vor der Barbarei“ zwischen 1900 und der NS-Diktatur beschäftigten und einem Trümmerfrauen-Stück ist das Ensemble c.t. 201 in der Reihe „Umbrüche“ nun bis zu den Achtzigerjahren vorgedrungen. Wenn es so etwas wie eine gesamtdeutsche Identität gibt, wodurch wurde diese zwischen Brandts Kniefall von Warschau und dem Fall der Berliner Mauer geprägt? Der Kernfrage des Abends nähern sich die Regisseure als Moderatoren mit Spielfreude und Forscherdrang. Die Schwierigkeit, als Ende der Siebziger Geborene Zeitzeugen zu sein, „die noch nicht zurechnungsfähig waren, sondern eher Ergebnisse“ sind, wird in witzigen Einspielfilmen genauso diskutiert wie das Konzept der Inszenierung. In lakonischen Dialogen kommt das Duo „Ironie & Praxis“ überein, dass das Reiten auf der Retrowelle Erfolg verheißt und den Leuten zwar „die Identitätsscheiße zum Hals raushängt“, man aber wegen der Message trotzdem politisch daherreden müsse.
Der Mix gelingt. Passend zum Arbeitsergebnis, dass sich das Fernsehen in der fraglichen Periode als Leitmedium durchsetzte, ist der Ton flockig, gibt es Quizspiele und Showacts (die mal mehr, mal weniger Aussagekraft besitzen). Nicht nur in der Nummer, in der Mrosek als „Genösselhöff“ die Wendehymne „Looking For Freedom“ intoniert und Moser simultan sächselnd dolmetscht, beweisen die Theatermacher in ironisch-unterhaltsamen zwei Stunden außerdem Entertainerqualitäten, die nach mehr schreien.
„Die 70er//80er-Show“ | 22.-25.1. 20 Uhr | Studiobühne | 0221 470 45 13
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