Seit 1970 ist Dietmar Kobboldt der erst zweite Leiter der Studiobühne. Eine Kontinuität über mehr als 50 Jahre hinweg, die vermutlich ihresgleichen sucht – und die vermutlich nur möglich war, weil die Bühne eine eigenständige Einrichtung der Universität ist. Nach vierzehn Jahren an der Spitze der Studiobühne geht Dietmar Kobboldt nun in den Ruhestand. Ein Gespräch über Nachwuchsförderung, kölsche Selbstüberschätzung und neue Spielstätten.
choices: Dietmar Kobboldt, die Studiobühne ist im Moment im Interim in Marienburg, in der Tanzfaktur und in zahlreichen anderen Kölner Theatern. Wie lange wird die Sanierung dauern und wie sieht die Zukunftsperspektive aus?
Dietmar Kobboldt: Die Studiobühne ist zusammen mit der Universitätsbibliothek ein sogenanntes „Pufferprojekt“. Das heißt, sobald eines der Bauvorhaben der Uni sich verschiebt, werden diese beiden Projekte sofort vorgezogen. Die Sanierung wird dann zwei bis drei Jahre dauern. Anschließend wird die Studiobühne eines der modernsten Theater der Stadt sein. Zurzeit arbeiten wir an einer Interimsspielstätte als Zwischenlösung: Am Tor 2 der Clouthwerke in Nippes sollen neben Wohnungen auch ein Theater gebaut werden, in das wir eventuell einziehen können.
In Köln werden derzeit mehrere Theater der freien Szene saniert, die Orangerie, das Theater der Keller, die Studiobühne. Welche Auswirkungen hat das für die Gruppen?
Das Theater der Keller war eigentlich nie eine Adresse für die freien Gruppen. Und bei der Orangerie weiß ich noch gar nicht, wie lange die Sanierung dauert. Insgesamt gehe ich davon aus, dass der Andrang bei den verbleibenden Spielstätten größer wird als vorher. Die Tanzfaktur, in der wir häufig spielen, hat schon jetzt keine Leerzeiten mehr. Immerhin kommt jetzt mit den neuen Räumen in der Vitalis Straße eine große Spielstätte dazu, in der wir eine ganze Reihe von Produktionen machen werden. Wir gehen aber auch an eher untypische Theaterorte, so bringen wir die nächste Produktion des Nö Theater in der Stadthalle Mühlheim heraus.
„Nachwuchsförderung auf allen möglichen Ebenen weiterentwickelt“
Du bist seit 2012 Leiter der Studiobühne. Wie hat sich die Studiobühne in der Zeit weiterentwickelt?
Eigentlich bin ich schon seit 2009 als kommissarischer Leiter der Studiobühne Köln tätig, 2012 wurde ich dann offiziell berufen. Definitiv weiterentwickelt habe ich die Nachwuchsförderung auf allen möglichen Ebenen. Angefangen bei der Unibühne, aus der professionelle Gruppen wie das Parasite Ensemble oder das Krux Kollektiv hervorgegangen sind. Ein zweites Standbein ist unser 15 Minuten Festival, das verkoppelt ist mit dem Auftrittsnetzwerk West off. KimchiBrot oder Mira Olikat haben hier ihre ersten Schritte gemacht. Da wir als Einrichtung der Uni nicht von den Abendeinnahmen abhängig sind, können wir uns solche Plattformen im Unterschied zu vielen anderen Bühnen leisten – und sehen darin geradezu eine Verpflichtung.
„Eine Verpflichtung, dass wir uns solche Plattformen leisten“
Gibt es auch Dinge, die du nicht geschafft hast?
Ich hätte gerne die Zusammenarbeit im Verbund der mittelständischen bundesweiten Produktionshäuser, also Koproduktion und Austausch von Produktionen, noch einen Schritt weitergetrieben. Die Studiobühne Köln kann sicherlich nicht mit Kampnagel in Hamburg oder dem HAU in Berlin mithalten. Aber auf der Stufe darunter, also dem Lichthoftheater in Hamburg, dem Loft in Leipzig, den Theaterdiscounter in Berlin und vielen anderen hätte ich gern die Vernetzung etwas weiter vorangetrieben. Da ist uns Corona so richtig reingegrätscht. Und jetzt im Interim können wir diesen Faden nur sehr bedingt wiederaufnehmen. Das wird eine Aufgabe für meine Nachfolge.
Wie lässt sich der Stellenwert der Studiobühne in der freien Szene beschreiben?
Im Lauf der Jahre hat sich herausgestellt, dass das sogenannte Theatertheater, also die Umsetzung dramatischer Texte auf der Bühne, nicht zum Profil der studiobühne passen. Wir sind sehr offen für experimentelle Formen und alles Neue, auch wenn wir es zum Teil ästhetisch selbst noch gar nicht einordnen können. Wie zum Beispiel die Produktion „Untiefe“ von Jan Jedenak: das ist kein zeitgenössischer Zirkus, auch kein Sprechtheater oder Tanztheater. Ob sich der Begriff Theater figuraler Formen durchsetzt wird man sehen.
„Die Kölner freie Szene ist besser als ihr Ruf“
Wie steht die Kölner freie Szene insgesamt da?
In vielem ist die Kölner freie Szene besser als ihr Ruf und auch besser als sie selbst glaubt. Andererseits leidet sie unter einer gewissen, typisch kölschen Selbstüberschätzung. Wenn ich mir die Gruppen der freien Szene ansehe – den Tanz lassen wir außen vor –, dann haben allenfalls Futur 3 und Subbotnik sich ein überregionales Renommee erspielt. Danach wird es schon dünn. Die Internationalität der Freien Szene ist erst mit deutlicher Zeitverzögerung in Köln angekommen. Bis vor fünfzehn Jahren war unsere Theaterszene Europa das einzige internationale Theater Festival in dieser Stadt. Andere Städte waren damals schon sehr viel weiter.
Die Szene hat das lange mit der zu niedrigen und zu kleinteiligen Finanzierung durch die Stadt begründet.
Das ist eher ein Missverständnis der Kölner freien Szene. Gruppen anderer Kommunen hatten zwar absolut mehr Geld zum Produzieren zur Verfügung, aber eben nicht anteilsmäßig mehr Geld von ihrer Stadt. In anderen Kommunen haben sich die Gruppen viel schneller um weitere Mittelgeber wie Stiftungen, Land, Bund oder auch Ko-Produktionspartner gekümmert. Inzwischen hat Köln mit der Modifizierung seines Theaterförderkonzeptes nachgezogen und verschiedene Instrumente entwickelt, die gar nicht so verkehrt sind. Dass insgesamt die Kulturförderung einer Stadt der Größenordnung Kölns unbefriedigend ist, ist dabei völlig unbenommen. Aber das ist auch ein strukturelles Problem in NRW, wo die Kulturförderung sehr stark auf die Kommunen verlagert ist.
„Kulturförderung strukturelles Problem in NRW“
Das Schauspiel Köln zieht 2024 voraussichtlich zurück an den Offenbach-Platz. Die Spielstätten Depot eins und zwei in Mülheim sollen nach einer Vorlage der Verwaltung für die darstellenden Künste erhalten werden, vor allem für den Tanz. Was kommt da auf die freie Szene zu?
Für den Tanz ist das sicherlich eine gute und richtige Entscheidung. Aber die Debatte muss mit dem Verein für Darstellende Künste, also den Vertreter:innen der gesamten freien Szene, geführt werden. Ich bin sehr gespannt, wie die Verwaltung Tanz-Gastspiele, eine eigene Tanz-Companie und die freie Szene unter einen Hut kriegen will. Funktionieren kann das nur, wenn man versucht, eine Art Kölner Modell zu finden.
Nach dem Vorschlag der Verwaltung soll dieses neue Modell erst mal unter Leitung der Kölner Bühnen stehen. Ein Problem?
Für die Anfangsphase scheint das erst mal eine vernünftige, weil sachorientierte Lösung zu sein. Die Bühnen sollen ja auch zunächst einen Teil Ihrer Techniker:innen für das Depot abstellen und kennen sich dort sicherlich am besten aus. Aber dabei darf es nicht bleiben. Sollte der Rat der Stadt diesen Beschluss fassen, müsste der Kölner Kulturdezernent sehr schnell ein Workshop-Verfahren einleiten, bei dem gemeinsam mit der freien Szene auf Augenhöhe ausgelotet wird, wie das Depot zukünftig aufgestellt sein soll.
„Ich werde der Theaterszene als kritischer Zuschauer erhalten bleiben“
Bleibt das Problem der Finanzierung, die nach Auskunft der Verwaltung durch „Umschichtung im Kulturhaushalt“ gewährleistet werden soll.
Wir würden uns sehr freuen, wenn unser Anteil am Kulturetat so hoch wäre, dass es eine signifikante Einsparung hergäbe. Aber bei unserem Etat sind keine Millionen abzuzwacken. Und aus früheren Zeiten gibt es auch die klare Haltung bei Szene wie der Verwaltung, dass die Einrichtung eines Produktionshauses oder -zentrums nicht zulasten unseres Etats gehen kann. Was nicht ausschließt, dass zukünftige Erhöhungen maßgeblich in diese Richtung fließen und weniger in Richtungen Gruppen.
Letzte Frage: Wirst du der freien Theaterszene in Köln erhalten bleiben?
Ich habe noch keine konkreten Pläne für die Zukunft und werde der Theaterszene als interessierter und durchaus kritischer Zuschauer weiter erhalten bleiben. Ob da sich noch andere Sachen auftun, das wird sich nach und nach zeigen.
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