Jochen Heufelder ist im Vorstand des Kölner Kulturrat e.V. und steht mit vielen Angehörigen der Freien Szene in Kontakt. „Ich habe bei vielen Kulturschaffenden die Vollbremsung hautnah miterlebt“, berichtet Jochen Heufelder vom Kölner Kulturrat. „Schauspieler, Literaten, Tänzer konnten nicht mehr auftreten, Ausstellungen mussten abgesagt werden, der Film ist völlig eingebrochen, die Musik sowieso. Krisen der Wirtschaft wie diese schlagen praktisch immer voll auf die Kultur durch.“
Da der Großteil der Künstler und anderer Kulturschaffender freiberuflich tätig ist und kaum Rücklagen aufbauen kann, standen viele von einer Woche auf die andere vor einer existenzbedrohenden Situation. Dies schien auch bei den Verantwortlichen im Bund und beim Land Nordrhein-Westfalen angekommen zu sein, die sich beeilten, schnelle Hilfe zu versprechen. So bewilligte NRW noch im März fünf Millionen Euro als Soforthilfe für professionell tätige Künstler, die jeweils eine einmalige Zahlung von 2000 Euro zur Überbrückung beantragen konnten. „Das war schon eine vorbildliche Aktion, das fand ich großartig“, sagt Heufelder anerkennend.
Der Bund stellte derweil ganze 50 Milliarden Euro zur Verfügung, um Kleinunternehmern und Selbstständigen durch die Krise zu helfen – auch Solo-Selbstständige in künstlerischen Berufen ohne Angestellte waren ausdrücklich berechtigt, Antrag auf eine Einmalzahlung von pauschal 9000 Euro zu stellen. Die Verteilung der Gelder wurde den einzelnen Bundesländern übertragen – auf dem Online-Antragsformular des Landes NRW fand sich unter den Antragsbedingungen bis zum 1. April noch ein Passus, der es Solo-Selbstständigen erlaubt hätte, sich aus der Fördersumme ein Gehalt auszuzahlen.
Tatsächlich schien die Hilfe zunächst erstaunlich unbürokratisch bei den Adressaten anzukommen: Nachweise waren für die Antragstellung nicht nötig, bei Bewilligung wurde das Geld zügig überwiesen. Doch je weiter der April voranschritt, desto mehr kristallisierte sich heraus, dass die Hilfe an der Lebensrealität der Kulturschaffenden vorbeiging: Diese durfte nämlich ausschließlich für Liquiditätsengpässe bei Betriebskosten, wie Büromieten, Leasingraten und ähnliches verwendet werden, nicht für die privaten Lebenshaltungskosten. Der erwähnte Passus im Antragsverfahren von NRW war ab dem 1. April verschwunden – der Bund hatte das Land zurückgepfiffen. Während die Auszahlung wegen groß angelegter Betrugsversuche zeitweise gleich ganz gestoppt wurde, war die Unsicherheit auch bei denen, die die Hilfe bereits erhalten hatten, groß: Da viele Selbstständige im Kulturbereich kaum klassische Betriebskosten haben, nutzte ihnen das Geld auf der Bank praktisch nichts. Stattdessen sahen sie sich von Rückzahlungsforderungen und juristischen Konsequenzen wegen Subventionsbetrug bedroht. Auch wenn NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart in Berlin für Verständnis für die Situation der Freiberufler warb, blieb das Bundeswirtschaftsministerium hart. Für ihre Lebenshaltungskosten wurde den Betroffenen geraten, die „Grundsicherung“ zu beantragen – besser bekannt als Arbeitslosengeld II, also Hartz IV.
Heufelder kennt einige, die diesen Weg bereits gehen mussten. „Es brechen ja auch die ganzen Nebenjobs weg, mit dem die meisten ihren Hauptberuf querfinanzieren, etwa in der Lehre an Hochschulen, im Schuldienst oder auch in Altersheimen“, sagt er. Auch die Soforthilfe für Künstler scheint nicht zu halten, was zunächst versprochen wurde. Zwar gibt die Stadt Köln an, dass Kunstschaffenden aus dem Regierungsbezirk Köln insgesamt 1,8 Millionen Euro bewilligt wurden, den Bedarf deckt das nach Heufelders Beobachtung jedoch noch lange nicht. „Ich kenne einen einzigen, der Geld aus diesem Topf erhalten hat, alle anderen haben Absagen bekommen.“ Inzwischen sind die ursprünglichen 5 Millionen Euro auch längst ausgeschöpft. So hat der Kölner Kulturrat nun einen eigenen Fördertopf aufgelegt, die Kölner Kulturhilfe: Neben Spenden von Kölner Bürgern, zu denen der Kulturrat aufgerufen hatte, fließt auch das Preisgeld des Kölner Kulturpreises dort hinein, der in diesem Jahr nicht vergeben werden wird. Insgesamt ist die Summe damit auf 100 000 Euro angewachsen. „Bei uns können Künstler, die ihren Arbeitsmittelpunkt in Köln haben, einen Antrag auf eine einmalige Zahlung von 1000 Euro stellen. Wir gehen also davon aus, gut 100 Künstler unterstützen zu können.“ Inzwischen gibt es auch in der Frage der Soforthilfe des Bundes in NRW ein Zugeständnis: Antragsteller, die die Soforthilfe im März und April beantragt haben, sind nun berechtigt, von den 9000 Euro einmalig 2000 Euro für ihre Lebenshaltungskosten abzuzweigen.
Heufelder berichtet, dass die Stimmung unter Kölner Kunstschaffenden noch erstaunlich aufgeräumt ist. „Viele sind es ohnehin gewöhnt, am Existenzminimum zu arbeiten und machen nun das Beste aus der Lage.“ Die „Flucht ins Internet“, die nun viele antreten würden, könne jedoch nur der Wahrnehmungserhaltung dienen, meint er. „Das Internet kann niemals Ersatz für das wirkliche Erleben einer Darbietung oder einer Ausstellung sein.“ Auch lässt er keinen Zweifel daran, dass alle finanzielle Hilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. „Es weiß einfach niemand, wie es weitergeht“, sagt er. „Die Theater zum Beispiel dürfen zwar wieder öffnen, stehen aber vor dem ganz großen Problem, dass die ganzen Auflagen den Betrieb schlicht unwirtschaftlich machen. Also ist es für sie immer noch günstiger, gar nicht erst aufzumachen.“ Er erinnert daran, dass die Kulturbranche eben nicht nur den Künstlern ein Auskommen bietet, sondern einen bedeutenden Wirtschaftszweig darstellt. „Man braucht Fotografen, um Ausstellungen zu fotografieren, Autoren, um Katalogtexte zu schreiben, Galeristen, die Kunst verkaufen. In der Musik braucht man Techniker, Veranstalter und entsprechende Räumlichkeiten. Es ist ein ganzer Rattenschwanz, der da noch mit dranhängt.“
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Mehr Solidarität wagen
Die Theater experimentieren mit Eintrittspreisen – Theater in NRW 01/23
Von Hexen und Reptiloiden
Lothar Kittstein gibt Einblicke in „Angst“ – Premiere 11/21
2G oder 3G?
Die Theater zwischen Landesverordnung und Sicherheitsgefühl – Theater in NRW 10/21
Erste Kinos und Theater öffnen
Filmpalette, FWT, Bauturm und Comedia starten Programm
Virtuelle Fön-Frisur
Buch und Diskussion zum Theater-Lockdown – Bühne 05/21
allenichtganzdicht
Über die Schauspieler-Kampage #allesdichtmachen
Plötzlich Lehrer
Generation Zombie: Krise nach der Krise? – Spezial 03/21
In der Verlängerung beginnen
Museen zwischen öffnen und schließen – Kunst in NRW 02/21
Erinnerungen ans Kino
„Köln im Film“ bereitet lokale Kinogeschichte neu auf – Kino 01/21
Kunst und Kaufkraft
wehr51 in Zeiten der Pandemie – Auftritt 12/20
„Es ist schwer, die Schließungen zu verstehen“
Studiobühnen-Chef Dietmar Kobboldt über den kulturellen Lockdown – Interview 12/20
Wir Kultur-Protestanten
Warum die Schließung von „Freizeiteinrichtungen“ unchristlich ist – Theater in NRW 12/20
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Eine Historie des Rassismus
Der Kölner Rom e.V. unterstützt Sinti und Roma – Spezial 07/24
Zeitlose Seelenstifter
„Kulturretter:innen“ im NS-Dok – Spezial 06/24
Die Stimme des Volkes?
Vortrag „Was Populisten wollen“ in Köln – Spezial 06/24
Gezielt helfen
Ingrid Hilmes von der Kölner Kämpgen-Stiftung – Spezial 05/24
Zwangloses Genießen?
Vortrag „Die post-ödipale Gesellschaft“ im Raum für Alle – Spezial 04/24
Stabiler Zusammenhalt
„Der Streitfall“ in der Stadtbibliothek – Spezial 03/24
Der Traum von Demokratie
#Streitkultur mit Michel Friedman am Urania Theater – Spezial 02/24
Narrative der Armut
Christopher Smith Ochoa in der VHS – Spezial 11/23
„Gedenken ist kein rückwärtsgerichtetes Tun“
Seit rund einem Jahr leitet Henning Borggräfe das NS-Dok – Interview 10/23
Soziale Vision der Wärmewende
Konferenz in Bocklemünd – Spezial 10/23
Klimarettung in der Domstadt
Die 2. Porzer Klimawoche – Spezial 09/23
Alle Hebel in Bewegung setzen
Arsch huh, Zäng ussenander und Fridays for Future beim Gamescom City Festival – Spezial 09/23