Nicht umsonst war „Remigration“ das Unwort des Jahres 2023: In Debatten über Zuwanderung und Abschiebungen lässt sich eine zunehmende Radikalisierung feststellen. Insbesondere seit dem Messerangriff in Solingen hat sich der Ton im deutschen Diskurs über Asylpolitik weiter verschärft, von einer Willkommenskultur kann keine Rede mehr sein. Doch während Politiker wie Friedrich Merz (CDU) fordern, Asylbewerber bereits an der Grenze abzuweisen, sind weltweit 117 Millionen Menschen auf der Flucht. Gleichzeitig warten viele weitere in Deutschland auf die Bearbeitung ihres Asylantrags. Was bedeutet die Tendenz zu mehr Abschiebungen für diese Menschen und wie gestalten sich Abschiebungen in der Praxis? Diesen Fragen gehen Sebastian Rose vom Abschiebungsreporting NRW und Historiker Sascha Schießl am 28. November im Friedensbildungswerk nach.
Seit August 2021 dokumentiert das Abschiebungsreporting NRW des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V. Einzelfälle aus der Abschiebepraxis, die als inhuman oder unverhältnismäßig gelten können. Das neu erschienene Buch „Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen. Ausgrenzung, Entrechtung. Widerstände“ legt 110 dieser Fälle dar. Anhand der Beispiele befassen sich die Autoren Rose und Schießl mit den Ungerechtigkeiten, die abgeschobenen Menschen widerfahren. Ein ganzes Kapitel ist der Abschiebung von Roma gewidmet. Trotz der Forderung der Unabhängigen Kommission Antiziganismus, die Abschiebung von Roma zu beenden – die während des Nationalsozialismus systematisch verfolgt, deportiert und getötet wurden –, gibt es bislang keine Anzeichen für eine Umsetzung dieser Forderung.
Die Autoren zeichnen in ihrem Buch zudem ein Bild von Abschiebungen, das der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit widerspricht: „Während Politik und Behörden allzu oft suggerieren, es würden vorwiegend ‚Straftäter:innen‘ oder ‚Gefährder‘ abgeschoben werden, treffen Abschiebungen tatsächlich vor allem Familien mit Kindern, Menschen in Arbeit und Ausbildung, unter ihnen auch Pflegekräfte, Angehörige von Minderheiten, Menschen mit psychischen oder körperlichen Erkrankungen, Schwangere und Rentner:innen“, sagt Sebastian Rose. „Abgeschoben werden auch Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind.“ Das Buch dokumentiert des Weiteren gewaltvolle Abschiebungen und zeigt willkürliche Fälle von Abschiebehaft auf. Für Rose und Schießl ist klar: Diese Einzelfälle haben Struktur und werden sich wiederholen. Denn: „Bis heute fehlt in Nordrhein-Westfalen ein die menschenrechtlichen Minimalstandards umfassender Erlass der Landesregierung für den Abschiebevollzug völlig“, wie Rose beklagt.
Ausgrenzung, Entrechtung, Widerstände | Do 28.11. 19 Uhr | Friedensbildungswerk | friedensbildungswerk.de
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