Zuschauer:innen sind eine unberechenbare Spezies. Mal kommen sie in Scharen, mal zeigen sie die kalte Schulter. Offenbar hat nun die Pandemie diese Unberechenbarkeit noch verstärkt. Die Theater jedenfalls rätseln und die Pulsfühler des Zeitgeistes haben Hochjunktur. Von faktischem Desinteresse über inflationäre Sparmaßnahmen bis zur Durchbrechung bildungsbürgerlicher Rituale reicht das Analysespektrum. Klar ist allerdings eines: Es kommen weniger Zuschauer und die verbleibenden kommen spontaner. Die Gegenmittel, mit denen die Theater darauf reagieren, sind weniger ästhetischer als ökonomischer Natur: Man dreht an der Eintrittspreis-Schraube. Das ist keine ganz neue Entwicklung. Schon seit Jahren experimentieren Häuser mit Rabattsystemen wie beispielsweise der allgegenwärtigen Theatercard.
Die Pandemie, aber auch die Inflation haben nun den Druck erhöht, nicht nur Publikum zurückzugewinnen, sondern Probleme der sozialen Teilhabe abzufedern. In Zürich haben die Theater am Neumarkt, der Gessnerallee oder der Winkelweise schon zur Spielzeit 2020/21 ein dreistufiges Preismodell mit freier Wahlmöglichkeit eingeführt. Das Thalia Theater in Hamburg sowie die Theater in Hagen und Konstanz experimentierten über mehrere Monate mit einem 9-Euro-Ticket, das jeweils unterschiedlich ausgestaltet war.
In Köln führt das Freie Werkstatt Theater nun für zwei Monate ein solidarisches Preismodell ein. „Wir wollen unser Theaterpublikum diverser und jünger aufstellen und mehr kulturelle Teilhabe ermöglichen“, sagt Guido Rademachers, der zusammen mit Gerhard Seidel das FWT leitet. Der Gedanke sei bereits vor der Pandemie im Zuge einer Audience development-Strategie entwickelt worden, weil selbst der ermäßigte Preis von 12 Euro offenbar für viele noch zu hoch sei. Deshalb, so Rademachers, habe man die Preise nach unten und nach oben ausdifferenziert, also ermäßigt und erhöht. Die Zuschauer:innen können im Januar und Februar aus einem fünfstufigen Modell von 6 bis 30 Euro ihren Preis frei wählen. Ob das Modell beibehalten wird, entscheidet sich letztlich dann doch wieder an der Kasse: Der Anteil der Selbst-Finanzierung über Einnahmen müsse stabil bleiben, sonst könne man das Theater so nicht finanzieren, so Guido Rademachers. Mehr Solidarität wagen, lautet also die Parole.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24
Vom Wert der Arbeit
8. Auftakt Festival am FWT – Lesung 09/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Das 360-Grad-Feedback
„Fleischmaschine“ am Freien Werkstatt Theater – Prolog 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Die fünfte Gewalt
FWT mit neuer Besetzung – Theater am Rhein 11/23
Menschliche Abgründe
„Mister Paradise“ am FWT – Theater am Rhein 11/23
Vorbereitung aufs Alter
„Die Gruppe“ im Freien Werkstatt Theater – Prolog 09/23
Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23
Groteskes Reenactment
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Prolog 07/23
Muss alles anders?
„Alles muss anders“ am FWT – Theater am Rhein 05/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Offen und ambitioniert
Andreas Karlaganis wird neuer Generalintendant in Düsseldorf – Theater in NRW 12/24
Endspurt für Mammut-Projekt
Beethovenhalle kurz vor der Fertigstellung – Theater in NRW 11/24
Jünger und weiblicher
Neue Leitungsstruktur am Mülheimer Theater an der Ruhr – Theater in NRW 10/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Demokratie schützen
Das Bündnis Die Vielen ruft zu neuen Aktionen auf – Theater in NRW 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Neue Arbeitszeitregelungen
Theater und Gewerkschaften verhandeln Tarifvertrag – Theater in NRW 03/24
„Der Tod ist immer theatral“
Theatermacher Rolf Dennemann ist gestorben – Theater in NRW 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24