Die Augen sprechen eine deutliche Sprache. Sie erzählen Geschichten von der Deformation des Körpers. Dann folgen die Wörter. Ein Sturzregen aus Zeichen. Sie schwemmen die Reste des Verstandes fort. Wer hier alles verstehen will, blockiert den Gedankenfluss. „Fleischmaschine“ ist ein reimloses episches Liebesgedicht an den hinfälligen Untergang des Individuums. Virtuos als einfühlsame Überforderung des Geistes komponiert, undurchdringlich in seiner Dichte inszeniert und in betörenden Akten vom Darstellerduo Lisa Sophie Kusz/Thomas Kaschel in den Schoß der Zuschauenden gebettet. Die Fleischmaschine summt dabei zu einem Soundtrack aus rückwärts tickenden Uhren. Sie verdunkelt selbst die kalte Dezembernacht mit verstörenden Bildern, glorifiziert porenreine Haut zum Organ, „das ganze Welten umspannen soll“.
Im Zentrum der überwachten Selbstbetrachtung steht das abhanden gekommene Ich. Auf dem Weg zur totalen Optimierung verlangt der Mensch Korrekturen, zittert und wütet sich durch den kalten Entzug von Kinn-Implantaten, Po-Liftings oder Begradigungen des Skeletts. In einem Designvorgangs reisen die auf Fragmente reduzierten Protagonisten „Aa“ und „Ee“ in die Seinszustände einer Apparatur, gemacht aus purer Erde. Als „Hysterie“ fasst eine der Figuren die Lebenswunde in einer stillen Szene treffend zusammen, nur, um den Schnitt sofort besessen weiter aufzureißen, denn der Makel endet nie mit der letzten Schönheits-OP. „Fleischmaschine“ ist zur Marmorstatue gewordener Schrei – geformt aus Ästhetik und Grausamkeit. Eine fletschende Treibjagd nach Vervollkommnung.
Fleischmaschine | 22.2. 20 Uhr, 25.2. 18 Uhr | Freies Werkstatt Theater Köln | 0221 32 78 17
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
„Vielleicht wird die Kindheit outgesourct“
Regisseurin Viola Neumann über „Das Experiment“ am Freien Werkstatt Theater – Premiere 07/25
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24
Vom Wert der Arbeit
8. Auftakt Festival am FWT – Lesung 09/24
Das 360-Grad-Feedback
„Fleischmaschine“ am Freien Werkstatt Theater – Prolog 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Die fünfte Gewalt
FWT mit neuer Besetzung – Theater am Rhein 11/23
Menschliche Abgründe
„Mister Paradise“ am FWT – Theater am Rhein 11/23
Vorbereitung aufs Alter
„Die Gruppe“ im Freien Werkstatt Theater – Prolog 09/23
Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23
Groteskes Reenactment
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Prolog 07/23
Muss alles anders?
„Alles muss anders“ am FWT – Theater am Rhein 05/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Wohin, David?
„Mein Onkel David“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 08/25
Vergessenes Weltwunder
„Mein Freund, der Baum, sieht rot“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 07/25
Unter blauäugigen Hunden
„Traudl Junge – Im Schatten des Bösen“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 06/25
Fragen als Gemeinsamkeit
„Hiob“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 05/25
Wieder Mensch sein dürfen
„Das Tagebuch der Anne Frank“ im Leverkusener Erholungshaus – Theater am Rhein 05/25
Raus ins Leben?
„Draußen“ in der Kölner Stadthalle Mülheim – Theater am Rhein 05/25
Zwischen den Fronten
„Making the Story“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Der Übermann
„Boys don‘t cry“ in der TanzFaktur – Theater am Rhein 04/25
Die Grenzen des Theaters
„Was ihr wollt“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Im Schatten der Diktatur
„Jugend ohne Gott“ am Comedia Theater – Theater am Rhein 03/25
Der Mensch als Scherbe
„Der zerbrochene Krug“ am Horizont Theater – Theater am Rhein 03/25
Totale Berührung
„Do not touch!“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 03/25
De Rach vun der Fleddermus
„De Kölsche Fledermaus“ an der Oper Köln – Theater am Rhein 02/25