Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.582 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Freizeiteinrichtungen
Foto: Jan Schliecker

Wir Kultur-Protestanten

10. Dezember 2020

Warum die Schließung von „Freizeiteinrichtungen“ unchristlich ist – Theater in NRW 12/20

Kulturinfarkt – so lautete 2012 der Titel eines Buches eines Autorenquartetts, in dem die staatliche Subventionspraxis in Frage gestellt wurde. Ohne Ironie kann man derzeit feststellen, dass dieser Infarkt eingetreten ist – allerdings mit umgekehrtem Effekt. Während die Kulturinstitutionen immer wieder außer Gefecht gesetzt werden, steigt die kompensierende finanzielle Unterstützung. Was da allerdings in Gestalt Theater, Kinos, Museen und Konzerten von der Bundesregierung unterstützt wird, sind angeblich „Freizeiteinrichtungen“. Darin manifestiert sich zum einen ein scheinbar protestantischer Blick mit einer Scheidung dessen, was notwendig und was verzichtbar sei. Freizeiteinrichtungen gelten als nicht lebenswichtig. Zum anderen müssen Theater, Kino und Museum für einen symbolischen Akt der Entschlusskraft herhalten, der signalisiert, dass hier die verantwortungsvollen Kümmerer am Werk sind. Der Schauspieler Matthias Brandt hat das kürzlich sarkastisch als wohltuende Entlastung bezeichnet: Endlich wisse man, woran man sei.

Die Formulierung der „Freizeiteinrichtung“ berührt die alte Legitimitätsfrage der Kunst. Deshalb hat Ulrich Khuon, Vorsitzender des Deutschen Bühnenvereins, kürzlich vorgeschlagen, Theater mit Schulen und Universitäten gleichzusetzen: vulgo Bildungsanstalten. Das klingt doch schon protestantischer: „Lebenslanges Lernen“ in Schillers (moralischer) „Anstalt“ – Kunst mit Zweckbindung und als Zwangsinstrument. Folgt man hingegen der Einschätzung der Bundesregierung von Theatern und Museen als „Freizeiteinrichtungen“, dann muss man von bezahlten, weil subventionierten „circenses“ der Demokratie sprechen, die nun allerdings in der Krise ausfallen müssen. Römische Potentaten hätten das Gegenteil getan.

Sarkastisch gesprochen liegt in diesem Ausfall unser vergiftetes Glück: Freizeit ist heute nämlich nicht gleichbedeutend mit freier Zeit, sondern weitgehend durchgetaktet und gefüllt mit sinnvollem Tun um Kind, Sport und Kultur. Es ist nun die Bundesregierung, die uns mit jedem Lockdown der „Freizeiteinrichtungen“ wirklich freie Zeit zu schenken versucht. Aber wollen wir das? Nein, denn die wahren Protestanten sind wir: Wir wollen mit Theater, Museum und Kino vernünftig gefüllte Tage – frei dahinfließende, unerfüllte Zeit ist nämlich schlicht unchristlich.

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Mehr Solidarität wagen
Die Theater experimentieren mit Eintrittspreisen – Theater in NRW 01/23

Von Hexen und Reptiloiden
Lothar Kittstein gibt Einblicke in „Angst“ – Premiere 11/21

2G oder 3G?
Die Theater zwischen Landesverordnung und Sicherheitsgefühl – Theater in NRW 10/21

Erste Kinos und Theater öffnen
Filmpalette, FWT, Bauturm und Comedia starten Programm

Virtuelle Fön-Frisur
Buch und Diskussion zum Theater-Lockdown – Bühne 05/21

allenichtganzdicht
Über die Schauspieler-Kampage #allesdichtmachen

Plötzlich Lehrer
Generation Zombie: Krise nach der Krise? – Spezial 03/21

In der Verlängerung beginnen
Museen zwischen öffnen und schließen – Kunst in NRW 02/21

Erinnerungen ans Kino
„Köln im Film“ bereitet lokale Kinogeschichte neu auf – Kino 01/21

Kunst und Kaufkraft
wehr51 in Zeiten der Pandemie – Auftritt 12/20

„Es ist schwer, die Schließungen zu verstehen“
Studiobühnen-Chef Dietmar Kobboldt über den kulturellen Lockdown – Interview 12/20

Ein Notfallgenerator für die Kunst
Kulturgenerator startet – Kunst 11/20

Theater.

Hier erscheint die Aufforderung!