„Abgesagt“ – „Verschoben“ – „Findet wegen Corona nicht statt“: Auf den Websites der Kölner Clubs hagelt es Ausfälle. Die Veranstaltungen, die noch nicht abgesagt sind, erwartet das gleiche Schicksal. Auf vielen Seiten begrüßt einen unter dem Schlagwort „Partys“ auch nur gähnende Leere. Es ist still geworden um die Clubszene, im ganzen Land, auf der ganzen Welt. Und die Hoffnung auf baldige Wiederöffnung bleibt denkbar gering: Wie kann man sich Disco zu Coronazeiten vorstellen – alle tanzen in ihrem 1,5-Meter-Quadrat, und es dürfen nicht mehr als 20 Leute auf die Tanzfläche?
Während immer mehr Menschen nachts an Kiosken trinken und auf der Straße feiern, kämpfen die Konzerträume und Clubs einsam um ihr Überleben. Manche nutzen die Zwangspause noch zum Renovieren, andere mussten bereits aufgeben. Das Roxy, das sich in nunmehr fast 30 Jahren Betrieb in Köln zum festen Treffpunkt etabliert hat, ist vorerst tot. Ihr 10-Jahres-Vertrag wäre Ende diesen Jahres ausgelaufen, und die Betreiber haben sich entschieden, ihn nicht zu verlängern. „Vorerst“, da das ganze Equipment bis hin zu dem berühmten Neon-Schild eingelagert wurde – und zu einem Neustart, wann auch immer der sein mag, wieder bereitsteht.
Unter offenem Himmel
Hier und da stirbt die Hoffnung zuletzt; so haben Betriebe wie das King Georg und die Live Music Hall Termine im September noch nicht abgesagt. Der neuen Verordnungen harrend versucht man, sich mit Soforthilfen und Open-Air-Konzerten über Wasser zu halten. Seit Ende Juli gibt es Programm auf der Summer Stage im Jugendpark, in Odonien gab es am 5. August vorerst einmalig eine Art Open Air-Disco, der Stadtgarten bietet Konzerte im Biergarten („Green Room“) mit bis zu 100 Zuschauern an Tischen, ebenso haben Artheater und Sonic Ballroom Konzepte für Sitztanz an Biertisch-Garnituren entwickelt. Es ist nicht wilder, ungezügelter Tanz, es ist nicht Freiheit, aber mit Sicherheit ist es besser als gar nichts.
MTC-Betreiber Büttner „ohne Illusionen“
Kleinere Clubs ohne Biergarten haben dagegen keine Chance. Das MTC an der Zülpicher Straße ist einer von ihnen. Allein schon durch den schmalen Eingang und über die relativ enge Treppe könnte man keine Menschenmassen nach Corona-Verordnungen leiten, dazu bräuchte man einen separaten Ausgang. „Ich habe nicht die Illusion, hier ohne Impfstoff wieder aufzumachen“, bekennt Stefan Büttner, der den Kellerclub mit seinem Bruder Jörg betreibt. „Ich habe jedoch so lang durchgehalten, also werde ich auch weiter durchziehen.“ Büttner lebt von Ersparnissen. Von der letzten Soforthilfe konnte er zwar die Miete bezahlen, ansonsten ist der Club mit seiner Pacht derzeit ein teures Hobby.
Eine von Kölns wichtigsten Live-Bühnen
Der gebürtige Kölner mit Berliner Eltern erzählt davon, wie er einst selbst Musik machte, Gitarre und Gesang, mit Auftritten im ehemaligen Underground. 28 war Büttner, als er damals mit seinem älteren Bruder und dem Booker Bernhard Lösener das MTC eröffnete. Davor betrieben sie die „Ruine“, in den 90er Jahren ein Pendant zu Underground und Bel Air. Eine Kulturstätte mit Biergarten, in der die ersten Technobands spielten; geschaffen aus einem alten Schrottplatz.
Die Luft in der MTC-Kellerbar riecht nach „früher war hier viel los“, über unseren Köpfen dreht sich die Diskokugel. Seit 27 Jahren läuft sie immer, sobald der Strom an ist – ob unter ihren tausend Lichtpunkten etwas passiert oder nicht. Das ganze Jahr über traten hier Live-Bands auf, oft 3 am Tag, 300 oder 400 pro Jahr, so genau hat Büttner das nie nachgezählt. Rock wurde gespielt, in der letzten Zeit vermehrt Metal; Growlings, Screamings und die pogende Menge füllten den langgezogenen Raum. Kleine Bands aus Köln und Umgebung konnten die kleine Bühne nutzen, aber auch die Großen waren hier: Brings, Hawkwind, Bands aus der ganzen Welt gaben sich die Klinke. „Kasalla nennen das ihre Mutterstube“, sagt Stefan Büttner nicht ohne Schmunzeln. Lesungen wurden abgehalten, „und wir waren auch mit die ersten, die in Köln Slam Poetry gemacht haben.“
Angst vor dauerhaftem Schaden
Es tut weh, im Präteritum vom Programm des MTC zu sprechen. Und so kommt man immer wieder auf die Gegenwart zurück, vielleicht auch auf die Zukunft, und man kann es nicht anders sagen: Büttner macht das Beste aus der kritischen Situation. Endlich konnte der Kühlraum renoviert werden, überall „ein bisschen Farbe draufgeklatscht, die Toiletten aufgefrischt. Wir hatten ja immer ununterbrochen auf, und konnten so was nie machen.“
Für Büttners Fußballbar, die er auf der Straßenebene oberhalb des MTC betrieb, war Corona der Gnadenstoß – doch er habe nette Leute gefunden, die dort eine neue Gaststätte einrichteten, ebenfalls mit Fußball.
Was Büttner so wie alle übrigen Discogänger, Rockkonzertbesuchende und Kneipenrowdys bewegt, ist der akute Mangel der Gegenwart. „Ich hätte gar nicht gedacht, dass es mir so fehlt, Livemusik zu hören“, sagt Büttner nachdenklich. „Mittlerweile habe ich auch Angst, dass sich total was verändert.“ Kleine Bands könnten sich nicht mehr präsentieren, könnten die Miete für die Proberäume nicht mehr aufbringen. Darüber habe man, solange es alles lief, nie nachgedacht. Eigentlich sei es auch unvorstellbar, dass diese Kultur kaputtgehe. Aber auch den eigenen Leuten gegenüber, den Technikern, Licht, Sound, DJs, könne man es nicht verantworten, alle mit einer erneuten Öffnung in Gefahr zu bringen.
Hoffen auf neue Hilfen
Der Blick auf die Zukunft ist schmerzhaft. Stefan Büttner fragt sich, warum es überhaupt noch Diskussionen darum gebe, ob Karneval stattfinden könne. Viele Clubs fühlen sich von der Politik im Stich gelassen, sie sind die letzten, die wieder öffnen könnten, und wer weiß, wie viele Jahre die Suche nach einem Impfstoff und die Vakzinierung der gesamten Erdbevölkerung noch dauern wird. Gerne würde er bald alles wieder aufnehmen wie früher; er ist Clubbesitzer durch und durch und freut sich, Leute hier zu haben. Jedoch, wenn nicht bald neue Hilfen von Stadt und Land kommen, „geht das alles sehr schnell zu Grunde“. Im November oder Dezember wäre es vorbei. Dann müssten wir mit einem großen Clubsterben rechnen.
Doch Büttner verliert seinen Optimismus nicht: „Ich sehe es relativ gelassen. Die Pause ist eigentlich ganz schön.“ Nur finanziell sei es eben eine Katastrophe. Der 56-Jährige scheint vor allem an die Jugendszene zu denken, an das Ventil, das man im Genuss von Livemusik öffnen kann. Doch: „Die Menschen werden Wege finden.“
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