Vielleicht hab‘ ich‘s ja auch gehört, als ich im April in London war. In Cafés und Bars, Boutiquen und Spirituosengeschäften laufe „Feet Don‘t Fail Me Now“ aus Joy Crookes‘ Debütalbum „Skin“ (2021) fast schon in Dauerschleife, schreibt der Guardian. Damit ist Crookes ein weiteres Beispiel für einen neuen Trend vornehmlich weiblicher Künstler:innen, eingängigen Pop subversiv zu unterlaufen. Denn es geht in dem Lied um Anpassungsdruck und die daraus resultierende Scheu vor Auseinandersetzung. Vielschichtig bezieht der Text die Künstlerin mit ein, subtil verweist der Titel, ohne das weiter auszubuchstabieren, auf Rassismuserfahrungen. Beispielsweise tauchte die Redewendung „Feet, don‘t fail me now“ erstmals in Filmen der 1920er Jahre beim schwarzen Schauspieler Stephen Fetchit auf, wenn er vor der Polizei weglaufen musste.
Joy Crookes ist die Tochter eines irischen Vaters und einer bengalischen Mutter. 27 ist sie, lebt in Südlondon, liebt die Straße, ihre Leute, ihre Clubs. Ihre Herkunft macht es für sie selbstverständlich, Partei zu ergreifen und für Gleichberechtigung und Anerkennung zu streiten. Ähnlich wie bei der irischen Sängerin CMAT auf ihrem aktuellen Album „Euro-Country“ transportieren Crookes‘ eingängige Melodien und tanzbare Rhythmen textlich anspruchsvolle und schonungslos ehrliche Widerhaken.
„Skin“ hatte die politischeren Themen, es ging um Brexit, Gentrifizierung, Einwanderung. Das neue Album, „Juniper“ (übers.: Wacholder; die Pflanze, die überall wachsen kann), ist introspektiver, behandelt mentale Fragilität, weiße Schönheitsideale, traumatische Beziehungserfahrungen, Angst vor und Mut zu neuer Liebe. Unpolitisch? Nicht für Crookes: Liebe ist für sie ein „politischer Akt“ „in der hirnverrotteten Gesellschaft [...] des Spätkapitalismus. Kein Wunder, dass wir da die Verbindung zueinander verlieren“, sagte sie kürzlich dem ARD-Kulturmagazin TTT.
Die trockenen Beats, das Händchen für Melodien stellen sie aber nicht nur in eine Reihe mit CMAT. Vor allem gehört Crookes zu der Phalanx an vor allem Londoner Musiker:innen, die coolen, warmen Soul im Blut haben und ihn mit dem Straßenakzent von Hip-Hop und Trip-Hop anreichern: Lianne La Havas, Michael Kiwanuka, Arlo Parks, manchmal Celeste. Kae Tempest und Little Simz winken herüber, und Amy Winehouse gibt ihren Segen. Man sollte Joy Crookes in die London-Reiseführer aufnehmen.
Joy Crookes | Sa 29.11. 19.30 Uhr | Live Music Hall, Köln | www.livemusichall.de
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