Es gibt Inszenierungen, da traut man seinen Augen und Ohren nicht. Johannes Schütz, den man als Bühnenbildner von Jürgen Gosch, Karin Beier oder Roland Schimmelpfennig kennt, inszeniert am Schauspiel Köln „Phädra“ von Jean Racine – diesen in Hexameter geronnenen Liebeswahn mit „Bild“-Plot: Ehefrau liebt Sohn ihres Manns aus erster Ehe. Hatte man bisher den Zusammenprall von Schütz’ reduzierten Bildwelten mit den spielerisch-experimentellen Inszenierungsweisen seiner Regisseure bewundert, so bekommt man jetzt Schütz pur: eine asketische, stockkonservative Interpretation, die weitgehend auf die Sprache setzt.
Die Spielfläche in der Halle Kalk ist mit Salz bestreut und wird im vorderen Drittel von einem wadenhohen Mäuerchen durchzogen, über das sich eine Art Drahtrahmen erhebt. Beides bildet ein Passepartout, das schon lange nicht mehr ins Bild bannen kann, was die Figuren umtreibt. Schon Hippolyt umrundet es anfangs sportlich; danach hockt oder balanciert er auf der Salzmauer, bis Phädra sie in ihrer Liebesenttäuschung mit der Spitzhacke niedermacht. Anja Laïs in schwarzer Strickjacke und gelber Hose spielt sie zunächst eher verhalten, dann allerdings tänzelt sie ihre emotionale Selbstentblößung dahin, dass ihr Liebesobjekt Hippolyt (Orlando Klaus) schier zu Salzsäule erstarrt. Die kurze Berührung nimmt er nur widerwillig hin, sein Begehren zielt auf den springenden Irrwisch Arizia (Marina Frenk). Vor allem in den ersten beiden Akten vor der Rückkehr von Athens totgeglaubtem König Theseus gelingt Schütz eine Atmosphäre allseitiger Verunsicherung. Die Figuren rangeln um die politische Nachfolge und stehen zugleich im Bann ihrer Gefühle. Liebe und Macht werden in ständigen Tauschprozessen verhandelt.
Danach gewinnt der Abend zwar an Lebendigkeit, doch vor allem Stefan Nickel als Theseus wirkt fast schon komisch, wenn er emphatisch im undurchschaubaren Gefühlsgewebe herumstochert. Phädras Vertraute Oenone (Nadine Geyersbach) gibt dann der Geschichte den intriganten Dreh und stiftet ihre Herrin dazu an, Hippolyt der Annäherung an seine Stiefmutter zu beschuldigen – was dann in die Katastrophe führt. Was Schütz an dem Stück interessiert, bleibt nebulös, er buchstabiert es eher durch, anstatt es zu interpretieren: der Klassiker als eingelegter Salzhering.
„Phädra“ | R: Johannes Schütz | Halle Kalk | 6./12./13.11., 19.30 Uhr | 0221 22 12 84 00
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