Freiheit ist prinzipiell unerreichbar. Weil sie immer als Schwundstufe eines apriori gedachten Ideals an Grenzenlosigkeit erscheint. Freiheit ist deshalb nie ohne ihre Einschränkung denkbar. Im Vergleich zu vielen populistischen Regierungen steht das politische Deutschland eigentlich ganz gut da. Im Innenblick sind die Defizite unübersehbar. Auch die individuelle Freiheit lässt zu wünschen übrig. Von der sozialen Freiheit ganz zu schweigen. Und in der Kunst? Die beiden Ensembles dorisdean und c.t.201 machen sich in einer Koproduktion Gedanken über verschiedene Begriffe von Freiheit. Regisseurin Miriam Michel inszeniert „Frei // Sein“ am Orangerie-Theater.
choices: Frau Michel, wie frei sind sie?
Miriam Michel: Wenn ich von meiner Bildung und meinen Privilegien ausgehe, dann bin ich frei, zu denken, was ich will. Dieses Konzept von Freiheit habe ich internalisiert. Das basiert aber darauf, dass ich bei meiner Sozialisation das Glück hatte, in einer Schicht aufzuwachsen, die mich durch Freizeit und materielle Sorglosigkeit befähigt, Freiheit zu denken.
Haben Sie als Regisseurin nicht eine viel größere Freiheit oder Macht als Schauspieler?
Ich arbeite schon länger als Regisseurin in unterschiedlichen Konstellationen. Außerdem bin ich Teil des Theaterkollektivs dorisdean. Wir sind sechs Menschen und arbeiten kollektivistisch. Das ist manchmal zwar zäh, aber es gewährt eine Form von Freiheit im Kunstbetrieb, die viele unserer Mitglieder im klassischen Macht-Kontext des Theaters vermisst haben. Auch ich habe in meiner Zeit als Regieassistentin die Macht von Regieführenden als bedrückend erfahren und mich oft unfrei gefühlt.
Und als Sie dann selbst als Regisseurin gearbeitet haben? Keine Lust, diese Freiheit auszukosten?
Als Regisseurin habe ich zwar diese Freiheit der Macht genossen, es ist aber eine einsame Verantwortung. Da habe ich beschlossen, die Schauspielerinnen und Schauspieler mehr zu fragen, was sie wollen. Ich fühle mich freier, wenn ich die Freiheit habe zu hören, was den anderen nicht gefällt. In der Diskussion mit den Schauspielerinnen und Schauspielern überprüfe ich damit zugleich auch meine Position. Ich setze aber meinen Willen durch, wenn ich genug Argumente für einen Sachverhalt habe. Es ist auch wichtig, wenn eine/r das letzte Wort hat.
Welche Form der Freiheit untersuchen Sie in Ihrem Stück „Frei // Sein“?
Der Abend wird vermutlich dreigeteilt sein. Im ersten Teil werden verschiedene gesellschaftspolitische Positionen und Konzepte von Freiheit in einem demokratischen Land vorgestellt. Im mittleren Teil soll eine Art Wettbewerb zwischen den Schauspielerinnen entstehen, in dem die unterschiedlichen Konzepte in verschiedenen Spielanordnungen erprobt werden. Welche wird gewinnen? Das wird sehr lustig. Der dritte Teil soll sich mit der Freiheit von Schauspielerinnen und Schauspielern beschäftigen. Wie frei ist man, wenn man auf eine bestimmte Weise in der Öffentlichkeit steht? Muss man Position beziehen? Auch politisch?
Welche unterschiedlichen Konzepte von Freiheit werden das sein?
Das steht noch nicht fest. Eine Figur könnte im mittleren Teil das Konzept eines lauten, agitierenden Theater haben. Da bewirft man sich zum Beispiel mit Wasserbomben, was diese Figur für Freiheit hält. Eine andere Figur hält die Fähigkeit sehr viel Text in kurzer Zeit zu sprechen, für die ultimative Freiheit. Das kann gerne alles ein bisschen überspitzt sein. Es geht in diesem mittleren Teil um verschiedene performative Formate, die die drei Schauspielerinnen in einem Wettkampf gegenüberstellen. Da alle drei bei allen Formen mitmachen müssen, berührt das auch die Frage der Fähigkeiten. Eine Darstellerin fährt Rollstuhl – daraus ergeben sich zwangläufig Unterschiede.
Wie nehmen die Zuschauer Einfluss?
Das Publikum soll zum Beispiel durch den Klatschomat entscheiden, ob das die Theaterform der Freiheit ist. Das berührt dann aber auch einen anderen Aspekt. Auch in der Art der Teilhabe des Publikums liegt ein Akt der Freiheit. Wenn man sich Aufführungen in der Shakespeare-Zeit ansieht, dann waren das ziemlich laute Entertainment-Orte. Das hat sich im bürgerlichen Theater völlig gewandelt. Das stellt die Frage, wie viel Freiheit die Zuschauer heute noch haben und wollen.
Inwieweit spielen bei Fragen zur Freiheit auch die Infragestellung der Geschlechterhierarchien eine Rolle?
Wir haben absichtlich drei Frauen als Darstellerinnen gewählt. Ich glaube, dass es an der Zeit ist Experimente zu wagen wie die Karlsruher Schauspieldirektorin Anna Bergmann und ihr rein weibliches Team. Gleichzeitig würde ich das gerne nicht auch noch betonen müssen. Darin läge die Freiheit. Wenn große Häuser auf und hinter der Bühne nur von Frauen bespielt würden und niemand würde das für etwas Besonderes halten. Darauf nicht reagieren zu müssen – darin läge eine wahnsinnige Freiheit.
Wenn man sich die politische Lage anschaut, bekommt eine Debatte über Freiheit eine besondere Brisanz.
Das politische Geschehen, also die Infragestellung der bestehenden Kunst von Seiten bestimmter politischer Kräfte, wird auf jeden Fall in unsere Arbeit einfließen. Es geht darum, was man uns an Freiheit wegnehmen kann und wie wir das verhindern können. Freiheiten, von denen man dachte, sie seien gesetzt, die aber plötzlich infrage gestellt werden. Zum Beispiel die UN-Menschenrechtscharta, die ich für eine Errungenschaft halte, hinter die man nicht zurückgehen kann. Wenn ich aber heute eine Broschüre mit der Charta an Schüler gebe, wird das manchmal schon als Propaganda gewertet. Vieles, was nach 1945 als Errungenschaft galt, wird heute als Bedrohung der europäischen Freiheit empfunden wie zum Beispiel das Asylrecht.
„Frei // Sein“ | R: Miriam Michel | 30.5. - 1.6. 20 Uhr, 2.6. 18 Uhr | Orangerie-Theater | 0221 952 27 08
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