Bekanntlich kommt Weihnachten jedes Jahr so plötzlich, dass man immer in Hektik gerät. Auch die 68er-Eltern in Sibylle Bergs Stück „Lasst euch überraschen!“ müssen noch schnell den Fernseher und eine Skulptur aus dem Keller holen, bevor die Kinder anrücken. Beide hocken in ihrer Villa, sie trinkt sich ins linke Delirium, er hat nur noch Kontakte zur örtlichen Huchel-Gesellschaft, ansonsten regiert der sarkastische Diskurs, der als friendly fire vor nichts Halt macht. Auch vor den „im System“ aufgegangenen beiden Kindern und deren Ehegatten nicht: Tochter Marie ist PR-Agentin, Sohn Lukas Kurator – Kulturindustrie pur samt Verblendungszusammenhang also. Der Nachwuchs wiederum verachtet die Eltern wegen ihrer rücksichtslosen 68er-Selbstverwirklichung und will letztlich nur eins: die Villa. Zur Bescherung kommt dann die dunkelhäutige Minu – Ergebnis eines väterlichen Seitensprungs.
Sibylle Bergs Familienfarce ist pointensatter Boulevard fürs Bildungsbürgertum, und im Bonner Theater deshalb genau richtig. Auf der mit sechs beweglichen Wandelementen möblierten Bühne inszeniert Maaike Langen ein Spiel zwischen Srewball-Comedy und Slapstick. Da frieren Gesichter mit aufgerissenen Augen ein, werden Reaktionen verzögert und zugleich aufs Tempo gedrückt. Wenn sich alle zum Fastfood-Essen treffen, brennt der Baum. Eine Diashow gibt Anlass für saftige Aufrechnungen. Zur Bescherung werden Toga und Heinzelmännchenkostüme angelegt. Die Darsteller spielen mit Tempo und viel Sinn für Pointen. Im Mittelpunkt des Abends steht Susanne Bredehöft als Mutter. Sarkastisch bedauert sie ihre Kinder wegen ihrer liberalen Erziehung ohne Missbrauch und Nazivater, tanzt mit Essstäbchen im Stil der 60er Jahre und legt schließlich einen durchsichtigen Ganzkörperschleier an, durch dessen Gewebe hindurch sie Kekse isst. Das ist in seiner unterspielten Absurdität einfach sehenswert. Ansonsten funktioniert der Abend wie ein Lieblingsfilm im Fernsehen: Man kennt alles schon, sieht es aber immer wieder gerne.
„Lasst euch überraschen!“ von Sibylle Berg
R: Maaike Langen
Theater Bonn I 25./31.12./8./14./29.1., 19.30 Uhr
www.theater-bonn.de
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