Ein zylindrischer schwarzer Turm dominiert den Bühnenraum, rätselhaft wie ein Monolith. Auf drei Monitoren an den glatten Seiten knistern digitale Feuer. Ist er ein Ofen? Ein Schutzbunker, ein Müllcontainer oder eine Überwachungszentrale, wie die angebrachten Minikameras suggerieren? An seinem Fuß ruht eine Frau. Als sie sich aufrappelt und das Gebilde erstmals umrundet, findet sie eine Pistole. Jetzt die Mündung an die Schläfe setzen und alles vergessen können. Doch so einfach ist es nicht.
Die Macht des Verdrängten bildet den Rahmen um die „theatrale Traumaforschung“ der Gruppe c.t.201 und Regisseur Tim Mrosek. Während anfangs die schwarzweißen Konterfeis von bekannten Deutschen – von Theodor Heuss bis Philipp Lahm – im Bildschirm-Kasperletheater vorwärtsgerichtete Sprechblasen absondern, verharmlosen am Schluss Dummschwätzer in Tiermasken die Vergangenheit. Doch die Protagonistin im Herzen des Stückes, die Dorothea Förtsch in einem furiosen Solo als dunklen Zornesengel anlegt, lässt sich nicht beirren. Zuerst kreist sie die Fakten ein, diagnostiziert den Zustand der Deutschen in der Nachkriegszeit. Ein Volk von Suchenden und Gesuchten, so schleudert sie uns entgegen, seien wir gewesen und geblieben, von Vermissten, Findelkindern, Vergewaltigten, Gefallenen, Flüchtlingen, Waisen und Witwen.
Als beruhigende Mythen lächelnd zertrümmert und alte Wunden gnadenlos aufgerissen sind, verschmelzen Frau und Monolith zur Erinnerungsmaschine. Großaufnahmen von Förtschs schwarz-rot-gold-geschminktem Gesicht spucken Traumata aus, während sich das Wehklagen der Performerin bis zu einem Punkt steigert, an dem das freigelegte kollektive Unbewusste zu dramatischer Musik kollabiert. Mit seiner starken Darstellerin und dem genialen Bühnenbild von Jasper Diekamp weckt die sechzigminütige multimediale Installation vielfältige Assoziationen. Zwar verdeckt der Turm durch seine Lage inmitten der Zuschauerplätze leider oft die Schauspielerin, verortet das Thema so allerdings auch im Zentrum der Gesellschaft. Mit spürbarem didaktischem Impetus werden hier offene Türen eingerannt und Emotionen getriggert, die eigene Gedanken und Nachforschungen anregen.
„Amnesie National“ von c.t.201 | R: Tim Mrosek | studiobühneköln | 26.-28.2., 1./2.3., 20 Uhr | studiobuehne.uni-koeln.de
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