Der Mönch Thích Quảng Đức setzte 1963 ein Fanal: Er verbannte sich selbst aus Protest gegen die Unterdrückung des Buddhismus in Vietnam. 1969 zündete sich wiederum Jan Palach in Prag an, 1976 Oskar Brüsewitz in der DDR. „Die Selbstverbrennung ist die extremste, brutalste und schrecklichste Form des Protests“, sagt Elsa Weiland vom Krux Kollektiv, das dem Phänomen in seiner neuen Produktion „Ein Mensch ist keine Fackel“ nachgeht.
Ausgangspunkt der Recherche war die Selbstverbrennung der Deutschtürkin Semra Ertan, die damit 1982 gegen den grassierenden Rassismus in Deutschland protestierte. „Wir beziehen uns“, sagt Elsa Weiland, „ganz explizit auf den Protestsuizid durch Selbstverbrennung und die politischen Forderungen, die damit einhergehen.“Letztere seien ungeheuer vielfältig und reichten von der Gleichberechtigung der Geschlechter über die Beendigung von Kriegen, Klimagerechtigkeit bis hin zur Abschaffung von Diktaturen.
Das Krux-Kollektiv hat die politischen Forderungen und politischen Testamente der Suizidanten zur Basis einer komplexen Soundinstallation gemacht. Dass diePerformancegruppe sich zunächst für eine Auseinandersetzung auf akustische Ebene entschied, hängt mit der starken Visualität und Symbolik des Aktes der Selbstverbrennung zusammen: Das Krux-Kollektiv wollte jede Dramatik und direkte Darstellung vermeiden. Im Anschluss an die Soundinstallation befragen dann die Tänzerin Sophia Otto und die Physical Artist Saskia Rudat das Phänomen ganz direkt mit ihren eigenen Körpern.
Selbstverbrennungen sind unabdingbar an Öffentlichkeit geknüpft, weshalb Suizidanten gerne Plätze für ihre Aktion auswählen. Doch daraus ergeben sich Widersprüche: Viele Medien, erzählt Elsa Weiland, würden die Aktionen verschweigen, weil sie einen Werther-Effekt befürchten, also die Gefahr der Nachahmung. Zugleich fordere der Akt die Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess ein, verweigere sich dem aber durch Selbsttötung. Und schließlich hätten die „allerwenigsten Protestsuizide messbare Veränderung hervorgerufen“, so Elsa Weiland. Nichtsdestotrotz bleibt der Akt als Protest hochaktuell: Im September 2021 verbannte sich die Trans-Frau Ella auf dem Alexanderplatz in Berlin.
Ein Mensch ist keine Fackel | R: Elsa Weiland | 5. (P), 6. - 8.10., 23. - 26.11. | Orangerie Theater | 0221 470 45 13
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Die Hoffnung muss hart erkämpft werden“
Regisseur Sefa Küskü über „In Liebe“ am Orangerie Theater – Premiere 11/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
„Das Ganze ist ein großes Experiment“
Regisseurin Friederike Blum über „24 Hebel für die Welt“ in Bonn und Köln – Premiere 10/24
Getanzter Privilegiencheck
Flies&Tales zeigen „Criminal Pleasure“ am Orangerie Theater – Prolog 09/24
Wege aus der Endzeitschleife
„Loop“ von Spiegelberg in der Orangerie – Theater am Rhein 04/24
Das Theater der Zukunft
„Loop“ am Orangerie Theater – Prolog 04/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
„Wir wollten die Besucher:innen an einem Tisch versammeln“
Subbotnik zeigt „Haus / Doma / Familie“ am Orangerie Theater – Premiere 02/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Trauma und Identität
„Mein Vater war König David“ in Köln – Theater am Rhein 10/23
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Schussbereite Romantik
„Der Reichsbürger“ in der Kölner Innenstadt – Auftritt 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Freude und Bedrückung
35. Vergabe der Kölner Tanz- und Theaterpreise in der SK Stiftung Kultur – Bühne 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Vererbte Traumata
Stück über das Thiaroye-Massaker am Schauspiel Köln – Prolog 12/24
„Andere Realitäten schaffen“
Dramaturg Tim Mrosek über „Kaputt“ am Comedia Theater – Premiere 12/24
Lang lebe das Nichts
„Der König stirbt“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/24
Tanzen gegen Rassentrennung
„Hairspray“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 11/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24