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Wilhelm Leibl, Bauernjägers Einkehr, 1893, Öl auf Leinwand, 73 x 86 cm (Ausschnitt)
Wallraf-Richartz-Museum, Köln

Die Kunst des Portraitierens

27. Juni 2013

Wilhelm Leibl und August Sander in einer vergleichenden Ausstellung des Wallraf-Richartz-Museum – Kunst in Köln 07/13

Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich Wilhelm Leibl und August Sander je begegnet sind. Obwohl beide einen biographischen Bezug zu Köln haben, August Sander den älteren Maler geschätzt und Wilhelm Leibl für seine Malerei selbst Fotografien angefertigt hat. Aber als sich Sander, der 1876 in Herford geboren wurde, 1910 in Köln niederließ, hatte Leibl die Domstadt bereits verlassen. Leibl war 1844 in Köln geboren, aber schon 1863 zum Kunststudium nach München gezogen, wo er bald als realistischer Maler bekannt und etwa von Gustave Courbet in Paris gefördert wurde. 1870 gründete Leibl in München einen Kreis, dem auch Trübner und Schuch angehörten. 1873 zog er vor die Tore von München aufs Land und hielt dort in seiner detailgenauen Malerei das alltägliche Leben, die Ackerarbeit in der Natur ungeschönt fest. Später entwickelte er seine Landschaftsbeschreibungen vom Realismus in Richtung auf den Impressionismus. August Sander wiederum, der in Trier ausgebildet worden war, erlebte seinen Durchbruch in Köln. Hier nahm er ab 1920 typologische Fotografien des Menschen auf, ein Projekt, das sich in seiner vorgeblichen Nüchternheit zwischen Dokumentation und Kunst verhielt. Er portraitierte Repräsentanten der Berufe und Berufsstände – gerade in der Vereinzelung und im Gegenüber ging dies mit einem subtilen Humor einher.

Auf Augenhöhe
Ist es also so überraschend, dass eine Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum diese äußerlich so grundverschiedenen Künstler in Beziehung setzt? Leibl wie auch Sander (die beide auch in anderen Genres tätig waren) gehören zu den wichtigen Portraitisten ihrer Zeit, schon zu Lebzeiten hoch anerkannt. Beiden liegt an einem realistischen Bild des Menschen. Beide greifen innerhalb ihres Mediums auf Strategien der Vertiefung und Durchdringung zurück und tragen mit diesen zur Milieuschilderung bei. Und beide orientieren sich im Bildaufbau an den alten Meistern. So beruft sich Leibl auf die holländische Barockmalerei, und August Sander zitiert El Greco. Er dringt als neusachlicher Fotograf mit seinen s/w-Aufnahmen, die reine Oberflächen zu zeigen scheinen, ins Wesen seiner Modelle ein und geht dem Verhältnis von Persönlichkeit und Tätigkeit nach. Leibl wiederum ist ein versierter, vorzüglicher Maler, bei dem jeder Pinselstrich Sinn macht. Beide Künstler werden zu Chronisten ihrer Gesellschaft und des öffentlichen Lebens, ausgestattet mit einem feinen Gespür für die Details, Gesten und die Mimik, die doch so aussagekräftig sind. Auch dies zeigt die Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum.

Aber kann man die unterschiedlichen Medien überhaupt vergleichen? Zu Recht weist Gabriele Conrath-Scholl in ihrem Katalogtext auf die Verschiedenheit der technischen Verfahren und der dazu gehörenden Konzepte. Das eine ist Malerei mit ihrem Pinselstrich und der Sattheit der Farben, welche vom Maler ausgewählt sind. Zur Einschätzung des Bildes ist eine gewisse Distanz erforderlich. Das andere ist Fotografie, nahsichtig, kleinformatig und nicht beeinflussbar in den Details. Das Korn der Oberfläche hängt mit der Technik zusammen – und wird durch die Rahmung hinter Glas auf Abstand gerückt.

Portraits in Rolandseck
Im Hinblick auf das Arrangement, die Auswahl der Portraitierten und die Inszenierung macht der Vergleich aber doch Sinn. Er wirft einen Blick auf die Sujets und Motive, auf die Menschen in der Gesellschaft. Die Ausstellung geht dem nun – etwas didaktisch und begrifflich nicht sehr konsequent – in neun Kapiteln in direkten Gegenüberstellungen nach. Am überzeugendsten gelingt dies bei den herrschaftlichen Portraits des Johann Heinrich Pallenberg (Leibl) und des „Obersteigers aus Herdorf“ (Sander) oder bei den Paaren des „Bauernjägers“ (Leibl) und „am Spinntisch“ (Sander) jeweils in ihrer Stube. Indem Sander einen raffinierten Umgang mit dem Licht praktiziert, erreicht er eine atmosphärische Verdichtung und Tiefe, die mit dem Elegischen der Malerei Schritt hält.

Eigentlich liegt die Leistung der Ausstellung darin, dass sie Körper-Haltungen und Gesten herausarbeitet. Sie demonstriert, wie sich Stolz und Machtbewusstsein formulieren, und wie die Physiognomien in ein Verhältnis zu der ganzen Person und ihrer Umgebung treten, als grundsätzliche Erfahrungen emotionaler Selbstdarstellung, denn es liegen meist Jahrzehnte zwischen den Gegenüberstellungen. Deshalb: Sind das nicht überhaupt Allgemeinplätze?

Es lohnt sich auf jeden Fall, rheinabwärts zum Arp Museum im Bahnhof Rolandseck zu fahren. Dort ist in der Kunstkammer Rau ein Einblick in die Portraitkunst von etwa 1500 bis in die Gegenwart zu sehen. Die Ausstellung legt den Schwerpunkt auf die Darstellung der Lebens- und Arbeitswelten der Künstler selbst und auf die repräsentative Schilderung der Auftragsgeber. Auch hier ergeben sich Gegenüberstellungen mehr von innen heraus. So widmen sich die Malereien von Colyn de Coter und dann von Georges Rouault der Bannung von Jesus Christus auf dem Schweißtuch der Veronika. Mit mehreren Beispielen ist das Künstler-Selbstportrait, ohnehin eine faszinierende Gattung, vertreten, es ergänzt sich noch zu den Selbstbildnissen von Leibl und Sander in Köln. Ein zentrales Bild in Rolandseck ist das „Kabinett eines Kunstliebhabers“ (1661-1672) von Jan Siberechts, bei dem die Namen der Sammler unbekannt sind. Aber denkt man da nicht ohnehin an den Arzt und Sammler Gustav Rau, aus dessen Sammlung die Bilder hier stammen? Rau hat seine Sammlung UNICEF vermacht, wobei sie einstweilen im Arp Museum verwahrt und nach und nach ausgestellt wird.

Auch die Schau in Köln ist eine Ausstellung der kurzen Wege. Während die Fotografien von August Sander aus der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur ausgeliehen werden konnten, befand sich der Bestand der Malerei von Wilhelm Leibl gleich im Haus – das Wallraf-Richartz-Museum konnte aus dem Vollen schöpfen und hat etwas Gutes daraus gemacht.

Von Mensch zu Mensch – Wilhelm Leibl & August Sander“ I bis 11. August I Wallraf-Richartz-Museum I www.museenkoeln.de

Schau mich an! - Porträts seit 1500“ I bis 4. Mai 2014 I Arp Museum Bahnhof Rolandseck I www.arpmuseum.org

THOMAS HIRSCH

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