Auch wenn sich der üble Leumund, der dem Begriff „Videospiel“ jahrzehntelang anhaftete, noch längst nicht völlig abgenutzt hat, hat sich die dazugehörige Subkultur in den vergangenen Jahren doch einigen Respekt erarbeitet, nicht zuletzt durch deren enorm gewachsene ökonomische Bedeutung. Auch die Ausbildungswege in die Branche haben sich professionalisiert: An der Technischen Hochschule Köln etwa gibt es seit 2010 das Institut des Cologne Game Lab (CGL), in dessen Studiengängen Spieleentwicklung und Game Design gelehrt werden. Diese werden längst nicht nur für Unterhaltungszwecke eingesetzt: Unter dem Stichwort „Gamification“, etwa wird daran gearbeitet, typische Videogame-Mechaniken auch auf andere Alltagsbereiche zu übertragen.
Den Begriff des „Serious Game“ kann man wohl ebenfalls unter diesem Label einordnen, auch wenn das Prinzip dahinter im Grunde älter als Videospiele ist: Gemeint sind Spiele, die nicht Unterhaltungszwecken, sondern der Vermittlung von Wissen dienen.
Bestens vertraut mit dieser Disziplin ist Linda Kruse. Die Absolventin des CGL gründete nach ihrem Abschluss 2013 gemeinsam mit einem Studienkollegen das Unternehmen „the Good Evil“, das Lernspiele verschiedenster Art entwickelt und konzipiert – am erfolgreichsten bis dato mit „Squirrel & Bär“, einem Spiel, mit dem Kinder Englisch lernen können.
„Diese Spiele sollen genauso Spaß machen wie herkömmliche Spiele, aber gleichzeitig sollen sie einen spezifischen Inhalt vermitteln“, erklärt Kruse. „die Aufmerksamkeit ist auf das Spielerische gerichtet, wodurch man sich die Inhalte aneignet, um an dem Spiel teilnehmen zu können. Darum nimmt man es nicht als die Art von Lernen wahr, die eher mit negativen Emotionen behaftet ist, wie etwa, für eine Prüfung zu büffeln. Ganz unbewusst soll es nicht bleiben, aber im Idealfall merkt der Spielende hinterher erst, dass er oder sie etwas gelernt hat. Das kann so etwas Konkretes wie Vokabeln sein, aber eben auch so etwas wie Kunstverständnis.“
Da das Prinzip außerdem nicht auf digitale Spiele beschränkt ist, sondern ebenso mit analogen Mitteln wie Karten- oder Brettspielen umgesetzt werden kann, sind den Einsatzmöglichkeiten praktisch kaum Grenzen gesetzt.
Museen, wie eben das Wallraf-Richartz-Museum mit seiner umfangreichen Sammlung von Gemälden aus den Epochen des Mittelalters, des Barock und der Renaissance bis hin zum 19. Jahrhundert, bieten sich somit sogar ziemlich als Einsatzort für Serious Games an. Dank einer Zusammenarbeit des Museums mit dem CGL konnte Kruse, nun als Dozentin, ihren Studierenden im zweiten Semester die Gelegenheit bieten, in einem konkreten Kontext zu arbeiten: In kleinen, drei- bis vierköpfigen Teams sollten sie Serious Games für das Museum entwickeln, das dabei die Rolle des Auftraggebers übernahm – durchaus explizit mit der Aussicht, dass diese dort tatsächlich zum Einsatz kommen könnten. Ein zeitliches Limit von zwei Monaten war die einzige Vorgabe für die Projekte.
Das ist den Ergebnissen der einzelnen Gruppen anzumerken, denn diese bedienen sich einer breiten Palette von Spielprinzipien. Am Beispiel von Gemälden Alfred Sisleys etwa hatte eine Gruppe ihr Spiel „Painter's Experience“ entwickelt, dass den Museumsbesucher in die Rolle des Malers versetzt, in dem er auf einer digitalen Leinwand bekannte Werke nachmalen und in gewissem Rahmen auch animieren kann. Eine weitere Gruppe bedient sich für ihr Spiel „Kunstr“ dem Prinzip einer Dating-App, mit der der Besucher in „Dialog“ mit den Kunstwerken treten kann: Ein Chatbot übernimmt die Rolle der Bilder und vermittelt im Gespräch Wissenswertes zum jeweiligen Gemälde. „Picognize“ wiederum entwarf eine Art Quizduell, bei der die Kontrahenten Fragen zu Gemälden beantworten sollen, „deren Antworten immer im Bild selbst zu finden sein sollen – nach dem Prinzip „Lernen durch Sehen“, so einer der Studierenden. Ein anderes Projekt überträgt das Prinzip von Quartett-Karten auf die Kunstwelt und setzt dieses sowohl in einer digitalen, als auch einer analogen Variante mit einem eigens entworfenen Satz Karten um. Auch ein klassisches Point-and-Click-Adventure nach dem Vorbild des Klassikers „Monkey Island“ findet sich unter den Ergebnissen: Hier entwickeln die Figuren in den Bildern ein Eigenleben und liefern sich witzige Wortgefechte. „Der Spieler lacht darüber und merkt derweil gar nicht, dass er etwas Neues lernt“, so einer der Entwickler.
Viele der Studierenden in dem auf Englisch geführten Kurs kommen nicht aus Deutschland, so auch Diego Saldiva. Er scheint für das Projekt besonders prädestiniert zu sein, denn vor seinem Studium am CGL war er bereits zwei Jahre lang Lehrer und arbeitet inzwischen auch als Museumsguide. „Man kann Fakten gut aus Büchern lernen, aber um so etwas wie Kunstverständnis entwickeln zu können, braucht man andere Fähigkeiten, zum Beispiel Mustererkennung. Man muss mit der Kunst interagieren können“, findet er. Sein pädagogischer Hintergrund gereicht dabei zum Vorteil.
Alle Serious Games der Studierenden haben eher eine jüngere Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen im Blick – das ist vom „Auftraggeber“ auch so gewollt. „Gerade für unser Haus, das eher ein älteres Publikum anspricht, könnte es eine faszinierende Möglichkeit sein, jüngere Altersgruppen ins Museum zu locken“, meint Stefan Swertz, Sprecher des Museums. Er zeigt sich angesichts der kreativen und ausgereiften Konzepte der Studierenden beeindruckt.
„Wenn es nach mir ginge, würde ich allen sieben Konzepten eine Chance geben. Da war keines darunter, das für uns keinen Reiz gehabt hätte.“ Konkrete Zusagen kann er den Studierenden jedoch nicht machen. „Als kommunal finanziertes Haus haben wir keine freien Gelder zur Verfügung“, bedauert Swertz, „Wenn wir allerdings einen Sponsor finden würden, wäre ich sehr daran interessiert, das Ganze weiterzuentwickeln.“
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