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Michael P. Aust eröffnet den Kongress
Foto: © Soundtrack_Cologne

Bis über beide Ohren im Sound

10. September 2019

Musik, Filme und Games bei SoundTrack_Cologne – Festival 09/19

SoundTrack_Cologne, der größte, deutsche Fachkongress für Musik und Ton, fand vom 28. bis 1. September gemeinsam mit See the Sound, dem Musikfilm-Festival, zum 16. Mal in Köln statt. Mit einer Vielzahl an Workshops, Panels, Diskussionsrunden und Networking-Events widmete man sich der Tongestaltung und Komposition in den Bereichen Games, Film und Medien.

Als ich am Mittwochabend im kühlen Saal der Fritz-Thyssen-Stiftung sitze und Programmleiter Michael P. Aust bei der Eröffnungsveranstaltung von SoundTrack_Cologne lausche, bekomme ich heiße Öhrchen. Ich bin überrascht über die enorme Bandbreite der Angebote. Sound in Spiel, Film und TV-Produktion – klar, aber dargeboten in über 30 Diskussionen, Workshops, Fallstudien, Vorträgen und Networking-Events. Die nächsten Tagen werden den aktuellsten Trends und Entwicklungen in den Bereichen Film, TV, Games, Recht, Markt, Kultur, Technik und allgemeiner Vernetzung der Sound-Schaffenden gewidmet. Hinzu kommt als Sahnehäubchen das ergänzende Filmfestival „See the Sound“ mit 26 Filmvorführungen.

Als ich versuche eine Festival-Strategie zu entwickeln, um möglichst alle Bereiche abzudecken, weckt schallendes Gelächter mein Interesse. Es ist die Komponistin Cindy Shapiro aus L.A., die neben mir sitzt. Sie ist die Frau von Jack Wall, der als Gastsprecher für eine Workshop-Diskussion im Gaming-Bereich eingeladen ist. Das gesamte Leben der beiden dreht sich um Sound. Er verguckte sich als junger Komponist in das Punkrock singende „Kick-ass punk chick“. Mittlerweile komponieren sie auch mal gemeinsam und sind weltweit in Sachen Sound Composing unterwegs.


Wilbert Roget, Cindy Shapiro, Jack Wall und Jeff Rona bei Soundtrack_Cologne
Foto: © Marielena Wolff

Jack Wall steht für die musikalische Gestaltung von Spielen wie „Call of Duty“, „Jade Empire“ und „Mass Effect“. Auch sein Kollege Wilbert Roget komponiert für „Call of Duty“. Die Riege dieser Komponisten, die hier heute versammelt sind, wirkt nicht nur wie eine absolute Nerd-Gang, sie ist es auch. Als ich abends an einem langen Tisch mit den bereits genannten Komponisten und Komponistinnen sowie Michael McCann (Deus Ex, Boderlands 3), Jeff Rona (Traffic, God of War) und dem Kurator und Filmproduzenten Michael P. Aust sitze, kann ich das erste Mal meine Lateinkenntnisse aktiv gebrauchen. Es geht nämlich darum, wie man sicherstellen kann, dass lateinische Gesänge originalgetreu vokalisiert werden. Ich sitze mit einer Art Mozart und Haydn der Gamesound-Komposition zu Tisch und alle Gespräche drehen sich am Ende um Sound. Mir werden die schier unendlichen Möglichkeiten der Kompositionsmöglichkeiten bewusst. Denn ein Spiel verläuft nicht linear. Es kann in alle Richtungen gehen.

Der zweite Tag ist dem Gaming gewidmet und startet mit Seminaren zu rechtlichen Themen, EU-Copyrights, aber auch Live Composing mit „Orchestral Tools“. Der erste Workshop, den ich besuche ist der von Jack Wall, der bereits mit diversen Preisen ausgezeichnet wurde. Zum Einstieg gib es Storys aus seinen frühen Anfängen im Studio mit David Bowie, John Cale und Patti Smith.

„Mit ikonischen Menschen zusammenarbeiten, das beeindruckt und formt.“ Durch das Publikum geht bei manchen seiner musikalischen Anekdoten ein bewunderndes Raunen. Als es dann darum geht, wie er für „The Flying Saucer“ und „Barbie – Secret Agent“ komponiert, folgt herzliches Gelächter. „Creating the goofie sounds for Barbie – amazing!“

Am Schluss seiner Ausführungen stellt er für die wissbegierigen Komponisten, die rund 95% des Publikums ausmachen, klar: „Die Gaming-Industrie ist hart und voll von neuen, jungen Talenten. Wenn du etwas anderes machen kannst, mach es! Aber wenn du es wirklich willst, heißt es für dich ‚put your best foot forward‘ und gib alles.“

Am dritten Tag geht es um Sound im Film. Jazzmusiker und Filmkomponist Klaus Doldinger, der z.B. die Musik zu „Das Boot“ oder „Tatort“ komponierte gibt einen Workshop. Zur gleichen Zeit kann man im „Reality Check“ internationale Musik-Supervisoren, Agenten, Labels und Profis kennenlernen. Die Besonderheit: Jeder hat 10 Minuten in einer Eins-zu-eins Situation. Speed-Sound-Dating.

Es fällt auf, dass die meisten Sprecher männlich sind. Doch es gibt auch Frauenpower beim Kongress. „Women in Film and Television“ (WIFT) ist ein Netzwerk mit 20.000 Mitgliedern weltweit, das Frauen in der Film- und Medienindustrie unterstützt und präsentiert.


„Kate Nash – Underestimate the Girl“ von Amy Goldstein

Am Abend gibt es im Turistarama ungefilterte, weibliche Vibes von Kate Nash. Die Dokumentation „Kate Nash – Underestimate the Girl“ von Amy Goldstein spricht darüber, warum es plötzlich still wurde um Kate Nash, wie sie in Hollywood verbogen, betrogen und von ihrer Plattenfirma fallen gelassen wurde, sich dann aber dazu entschied sogar ihre geilsten Kleider zu verkaufen, nur um wieder frei Schnauze produzieren zu können. Ein intimes Portrait über den Kampfgeist einer jungen Frau. Während „Underestimate the Girl“ eine besondere Erwähnung erhält, geht der Preis für die beste Musikdokumentation später an „BNK48: Girls Don’t Cry“ von Nawapol Thamrongrattanarit.

Die Auswahl von „See the Sound“ ist vielschichtig und gibt auch außereuropäischen Produktionen Raum. Junior-Kuratorin Sarah Schygulla erzählt, „dass die Filme allesamt nicht älter als ein Jahr sind. Es gibt Musik von Frauen und über Frauen und der Bildungsaspekt spielt natürlich auch eine Rolle.“ Die Bandbreite reicht am Ende von Hip-Hop bis Elektro, von Produktionen aus Thailand bis Iran, vom Spielfim bis zur Dokumentation. Besonderheit: Produzenten können sich auch eigenständig bewerben. So gelangte ein außergewöhnlicher Film ins Programm-Pralinenkörbchen.


„Hidden Drummers of Iran“ von Ruairi Glasheen

„Sufi, Saint & Swinger“ bildet am Sonntag den mysteriösen Abschluss des Festivals. Zur Einstimmung gibt es im Filmforum NRW zunächst „Hidden Drummers of Iran“ zu sehen. Eine Doku über eine rhythmische Reise vom irischen Drummer Ruairi Glasheen, der sich der Tradition der sogenannten Tombak-Trommel widmet. Durch die Bilder der staubigen Straßen und Wüsten des Irans und den hypnotischen Sound der übernatürlich präzise wirbelnden Finger der Trommler wird das Publikum perfekt eingestimmt auf die folgende Weltpremiere, eine Dokumentation von Andrés Borda über den amerikanischen Jazzmusiker Lloyd Miller.

Tragik und Komik liegen oft nicht nur nah beieinander, sie sind eins. „Sufi, Saint & Swinger“ erzählt mit witziger Inszenierung die tragische Geschichte eines kleinen Jungen, der nur durch seine Flucht in die Welt der Musik existieren kann. Lloyds Eltern schwelgen im Hollywood-Glamour-Rausch der 1950er und liefern den eher störenden Sohn Elektroschock-Therapien und religiösen Behandlungen aus, die sein Gehirn buchstäblich grillen. Eines Tages wird die Vorhersage eines Mormonen-Priesters Wirklichkeit. Lloyd findet seinen Weg in den Iran, der kurz vor der Revolution steht. Hier kann er endlich atmen und fühlt sich zu Hause. Er entfaltet sein virtuoses Talent und erschafft eine neue Mischung aus orientalischer Instrumenten und Jazz. Mit Erfolg. Doch als alles gut zu werden scheint, schlägt das Schicksal erneut einen Kinn-Haken. „Its really seems stranger than fiction“, sagt Drehbuchautor Abbas Nokhasteh, der sich herzlich freut mit seinem Werk zu Gast beim Filmfestival zu sein. „It´s a mircale. We made an imprint of Lloyd´s Brain.“

Mit einem übersatten Gehirn verlasse ich die letzte Veranstaltung und verbleibe mit der Empfehlung die Beiträge der letzten Tage auf sounthcast.podbean.com zu lauschen. Kongress und Festival gibt’s wieder vom 22. bis 26. April 2020 in Zusammenarbeit mit der c/o pop.

Marielena Wolff

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