Die Zeiten des sozialen Stigmas sind lange vorbei: Längst sind Videospiele und ihre Ästhetiken zu einem selbstverständlichen Teil des Alltags geworden, das Daddeln auf verschiedensten Plattformen in allen Altersgruppen zu einer akzeptierten Freizeitbeschäftigung. Selbstbewusst fordern Games-Branche und die sie umgebende Szene daher schon seit einiger Zeit den Status des Kulturguts für ihr Medium ein. Dass dieses Rufen gehört wird, zeigt auch die Next Level, die vom 22. bis 25. November zum dritten Mal in Düsseldorf stattfand. Denn hinter dem dreitägigen Festival steht das NRW Kultursekretariat als Veranstalter, auch weitere Institutionen wie die NRW-Ministerien für Familie und Kultur oder das Frauenkulturbüro NRW mischen mit, um den schnell wachsenden Wirtschaftszweig zu fördern. Mit hohen staatlichen Weihen trafen sich im NRW Forum also wieder Brancheninsider, Forschende, Künstler, Journalisten und nicht zuletzt Fans, um sich über die Schnittmengen interaktiver Software, künstlerischer Ambition und Spieltrieb auszutauschen.
Dass zahlreiche Exponate und Präsentationen zum Anfassen und Mitspielen einluden, lag in der Natur der Sache. Besonders spektakulär war etwa die Installation „Ghosted Views“ des niederländischen Medienkünstlers Marnix de Njis geraten: Mit einer Art Kristallkugel als Controller konnten die Besucher durch einen 3D-Laserscan der Düsseldorfer Innenstadt manövrieren, überlebensgroß auf eine Wand projiziert. Der von Sebastian Quack zusammengestellte Spieleparcours „Kein leichtes Spiel / Uneasy Game“ widmete sich hingegen der Frustrationsgrenze: Die hier vertretenen Spiele legten es darauf an, die Spieler zu verwirren und an ihren Nerven zu sägen, wie etwa eine digitale Sisyphos-Variante, in der sich eine in einem Kessel sitzende Figur allein mit einem Hammer als Hilfsmittel einen Berg hochwuchten muss. Für „Let's build a spaceship“ hatten Jugendliche eine Raumschiffbrücke à la Star Trek gebaut, auf der man eine mehrköpfige Besatzung brauchte, um durchs All zu navigieren. An weiteren Spielestationen konnten Spiele von hoffnungsvollen Nachwuchs-Game Designern unter 25 Jahren angetestet werden, die mit dem Mulitmediapreis mb21 ausgezeichnet worden waren. Daneben zeigte etwa der Escape Room „Project Curie“, dass man nicht unbedingt einen Computer braucht, um Spielprinzipien umzusetzen.
Im vergangenen Jahr hatte die Veranstaltung einen Schwerpunkt auf die Frauen in der Branche gelegt, etwa mit der Verleihung des Künstlerinnenpreises durch das Frauenkulturbüro NRW, der erstmals in der Sparte Game Design vergeben worden war. Das Thema wurde auch dieses Mal verschiedentlich wieder aufgegriffen – so hielt eine der beiden Preisträgerinnen, die 25-jährige Studentin des Cologne Game Labs Leonie Wolf, in diesem Jahr bereits selbst einen Workshop zum Thema Game-Development ab. Im Vortrag der Journalistin und Entwicklerin Nina Kiel hingegen ging es um die Repräsentation der Geschlechter in den Spielen selbst, die nicht den besten Ruf hat. Zwar gebe es zarte Signale der Veränderung, doch noch immer dienten weibliche Spielfiguren in metallener Kampf-Unterwäsche vor allem als Projektionsflächen für männliche Fantasien, so Kiels Befund.
Dass in Games wie „The Last of Us“ oder „Red Dead Redemption 2“ immer ausgereiftere Geschichten erzählt werden, ist mit ein Grund für den Zuwachs an Respekt für das Medium. Hanns Christian Schmidt, der an der Universität Köln zu Transmedialität forscht, hatte sich in seinem Workshop damit auseinander gesetzt, wie in Videospielen Geschichten erzählt werden. „Narration und Spielmechanik haben eigentlich grundverschiedene Ansätze, die einander zuwiderlaufen“, so Schmitt. „Der Verlauf einer Erzählung ist bereits im Vorfeld entschieden, während Spiele uns selbst in die Rolle des Handelnden versetzen.“ Die Verbindung von narrativen und interaktiven Elementen funktioniere daher nicht automatisch immer gut – „etwa, wenn sich eine Zwischensequenz und das Spielgeschehen drum herum deutlich im Ton unterscheiden“. Erfolgreich sei die Verbindung dann, wenn die Spielmechanik genutzt werde, um das narrative Leitmotiv zu transportieren. Auch sorgfältig entwickelte Figuren mit Tiefe und Ambivalenz seien in Games immer öfter zu finden, doch diese könne man auch in anderen Medien erleben. „Wodurch sich Videospiele tatsächlich auszeichnen, ist das Schaffen einer Atmosphäre, indem sie uns in eine andere, möglichst lebende und atmende Welt versetzen.“
Die künstlich geschaffenen Welten von Videospielen lassen sich inzwischen sogar schon zur Forschung nutzen, wie der Journalist Dominik Schott in seinem Vortrag über „Archeogaming“ zeigte, das die Betrachtung von Spielwelten unter archäologischen Gesichtspunkten bezeichnet. Auch völlig artifizielle Welten wie das gewaltige Spiel-Universum von „No Man's Sky“ ließen sich so erforschen, besonders bietet sich die Methode jedoch für Spiele an, die realen historischen Epochen nachempfunden sind. Bei Spielen wie „Assasin's Creed“ werde vordergründig viel Wert auf Authentizität gelegt, diese sei jedoch mit Vorsicht zu genießen. „Die Entwickler gehen dabei vielfach nur so weit, wie es gefällig bleibt“, sagte Schott. Die beliebte Wirtschaftssimulation „Anno 1800“ etwa orientiere sich eng an den historischen Kontexten – doch der Aspekt der Sklaverei, der für die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts zentral war, fehlt völlig.
Wem diese Themen zu verkopft waren, fand jedoch auch genug Gelegenheit, seinen Spieltrieb auszuleben, etwa beim Turnier für den Next Level Gaming Star 2018. Und im Cosplay-Workshop bekamen Kostümfreunde wertvolle Tipps, wie sie sich mit Hilfe von Thermoplast und Schaumstoff zünftig aufbrezeln können. Die nächste Convention kann also kommen – an der Zeche Zollverein in Essen.
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