Zu einem runden Geburtstag kommen natürlich besonders viele Gäste, weshalb die Abenteuerhalle in Kalk zur diesjährigen 20. Evoke vom 18. bis 20. August aus allen Nähten platzte. 550 Besucher aus 27 Ländern waren am Ende beim Kölner Treffpunkt der Demoszene. Die ist selbst noch um einiges älter als zwanzig Jahre.
Sie ist entstanden Ende der 80er Jahre, als Jugendliche für ihre C64- oder Amiga-Computer die neuesten Spiele umsonst haben wollten und dafür den Kopierschutz „cracken“ mussten. Wer das am besten konnte, galt als besonders toll, und darum wurden den Spielen kurze Bildchen oder Animationen vorangestellt, als frühe digitale Visitenkarte. Daraus entwickelten sich in der Demoszene immer aufwändigere kurze animierte Filme, deren Besonderheit die Echtzeit ist: Sie sind nicht vorher abgespeichert, sondern werden vom Computer live berechnet.
Auf den Demoszene-Partys feiern die neuesten Werke Premiere und treten in unterschiedlichen Kategorien gegeneinander an, den „Compos“. Die Evoke ist also eine Mischung aus Filmfestival, Programmier-Wettbewerb und LAN-Party. Zur Königsdisziplin gehören die 64k- und 4k-Compos. Es gilt eine künstliche Beschränkung auf eine Dateigröße von 64kB oder sogar 4kB – ja, Kilobyte, also kleiner als die allermeisten E-Mails. Aus diesem kleinen Programm berechnet der PC, in diesem Fall neueste leistungsstarke Windows-Rechner, einen minutenlangen animierten Film mit Musik. Alle Objekte, die sich drehen, Transformationen oder Lichteffekte, die sehr aufwändig zu berechnen sind, werden besonders beklatscht – weswegen die Werke auch ihre eigene Ästhetik mitbringen.
Auch die Musik spielt eine besondere Rolle. In 4kB ist nicht mal Platz für ein Sample, weshalb auch die Klänge der Synthesizer vorher berechnet werden müssen. Hier ist vieles „handgemacht“ bei gleichzeitig aktuellster Technologie. Das überschreiten der technischen Grenzen durch geschickte Optimierung des Codes ist das Ziel der Programmierer, während im besten Fall ein ästhetisch möglichst rundes und gefälliges Werk entsteht. Das muss nicht unbedingt eine Geschichte erzählen, es gibt andere Merkmale eines Demos. So werden befreundete Szenemitglieder gegrüßt, die Premieren-Party wird genannt und viele Demos sind auch einfach Einladungen zur nächsten Party.
Der Antrieb des Ganzen ist der Wettbewerb, und der wird hergestellt durch die Limitierung. Ein Motto der Demoszene: die Beschränkung führt zur Kreativität. „Ich muss sehr kreativ sein mit einer Mathematik, die ich anwende. Ich muss sehr kreativ sein mit den Algorithmen, die ich entwickle und sehr kreativ sein, wie ich meine Musik und meine Klänge erzeuge,“ erklärt Tobias Heim vom Verein Digitale Kultur e.V., dem Veranstalter der Evoke.
Ob das Ergebnis dann zur Medienkunst zählt, wird hier und da diskutiert, aber nicht auf der Evoke: „Ich glaube, dass sich von innen heraus aus der Szene weniger Gedanken gemacht wird, ob das Kunst ist oder nicht, als das so von außen passiert.“ Und obwohl die Eigenschaft der Echtzeit die Machart der Animationen auch zum idealen Werkzeug von Kunstprojekten oder Theateraufführungen machen könnte, gibt es da wenige Berührungspunkte, wie Tobias Kopka erklärt: „Obwohl man interaktiv hätte sein können, hat man sich eher an MTV orientiert. Quasi die Selbstlimitierung der Form.“ Kopka selbst ist heute für die Gamescom tätig und organisiert die Entwicklerkonferenzen. Die zeitliche Nähe beider Events ist gewollt: Am Ende der Evoke am Sonntag gehen viele der Anwesenden auf einer der Spieleentwicklerkonferenzen wieder ihrem Job nach. Dann aber vermutlich im Anzug und bei Übernachtung im Hotel, nicht mehr im Schlafsack.
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