Der Schlaf an sich ist große Kunst. Guter Schlaf ist ein Meisterwerk. Vielleicht lässt sich das Konzept der neuen Ausstellung in der Temporary Gallery anhand dieser gewagten These umschreiben. In den drei Räumlichkeiten der Stätte unweit vom Rudolfplatz fordert der Kölner Künstler Sebastian Fritzsch anhand von Malereien, Fotografien, Zeichnungen, Collagen, Keramik-Skulpturen und einem einladenden Hochbett inklusive Decken, Kissen, Blumengestecken und Kuscheltieren zum Flirt oder gar zur Verlobung mit Morpheus heraus.
In „Schlaf. Portrait and Souvenirs“ gestaltet der bildende Künstler einen Traum, der sich nach Wärme, Geborgenheit, Erholung, vielleicht auch Zuflucht sehnt. Dabei vergisst Fritzsch nicht den Nachtalb, der die Träumenden verzweigten Labyrinthen und befremdlichen (Über-)Lebenssituationen aussetzt. Archaisch anmutende Symbole (Blätter, Dornen, Kokons, Iglu-artige Behausungen) verweisen auf den zeitlosen Instinkt der Geschöpfe für Schutzräume. Fritzschs Farben und Formen beschwören den Fluss ins Unterbewusste herauf. Der Schlaf wird zum ebenbürtigen Partner des Wachseins. So ziehen die pechschwarzen Glaskeramiken dreier Miniaturstädte einen unweigerlich durch verwinkelte Gassen und schweigende Hinterhöfe hin zu den Stadtgrenzen der zivilisatorischen Wahrnehmung. Der vergessene Mensch liegt in einer weiteren Arbeit als tragische Kreatur in sich zusammengesunken auf der Brücke eines Autobahnkreuzes, das keine Ausfahrt Richtung Hoffnung hat. Übermalte Fotoaufnahmen von Möbeln aus den 1950er und 60er Jahren zeigen das stets unbelegte Schlafsofa sarkastisch als vielleicht größten gesellschaftlichen Fortschritt seit dem „automatischen, ununterbrochenen Kleiderverschluss“ von Elias Howe.
Die Ausstellung wurde unter Mitarbeit von Timo Schmidt von Meike Eiberger kuratiert. Einzelne Bestandtteile, etwa die eigens entworfenen Holzdielen des Hochbettes, sind als Souvenir einer ungewöhnlichen Reise erwerblich und dienen der Finanzierung aktueller und zukünftiger Projekte der Einrichtung. Selbstverständlich sind die Besucher:innen zur temporären Entspannung in den Nischen und Zimmern des Hauses eingeladen. Ein aufwühlender Tagtraum.
Sebastian Fritzsch: Schlaf. Portrait and Souvernirs | bis 23.11. | Temporary Gallery | www.temporarygallery.com
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