Der Besuch des Kolumba ist ein Erlebnis. Wie hier ein Museum auf eine gotische Kirchenruine und über die im Zweiten Weltkrieg zerstörte und anschließend wieder errichtete Kapelle gebaut wurde, und wie es mit seinen hohen, schmalen Treppenhäusern verläuft: Schon das ist großartig. Darauf reagieren die sakrale und zeitgenössische Kunst und die Designobjekte, die hier in Jahresausstellungen präsentiert werden. Die aktuelle Ausstellung trägt den Titel „make the secrets productive!“ und ist die vielleicht offenste, intuitivste Schau, die Stefan Kraus, der scheidende Direktor, hier mit seinem Team eingerichtet hat. Wie geht zusammen, was in verschiedene Bedeutungsrichtungen ausschlägt? Stefan Kraus führt als eine Fährte die Beiträge des New Yorker Künstlers Duane Michals auf, der Erinnerungsspuren als Sujet seiner Fotosequenzen vertieft: Dinge, die abwesend sind oder verloren gehen könnten und augenblicklich Erzählungen initiieren. Die im Kolumba ausgestellten Fotografien zeigen Michals selbst, verkleidet als Clown und in weiteren derartigen Rollen, die mit Humor festgefahrene Ordnungen zum Wanken bringen. Hier nun sind auch die neueren Kurzfilme zu sehen mit dem Künstler als Akteur, der sich verkleidet, zaubert, Geschichten erzählt und die Fantasie weckt.
Damit einher geht die geistig-meditative Verfasstheit, die als Spiritualität ohnehin ein durchgängiger Impuls im Kunstmuseum des Erzbistums Köln ist. Schlägt nicht der geistige Besitz jeden physischen? Davon handelt, etwas forciert am Eingang, Felix Droeses zerbeulter, geöffneter „Sicherheitsschrank“ (1986), zu dem der berühmte Künstler schreibt: „Türe auf, nichts drin. … An die interessanten Dinge ist nicht ranzukommen.“ Subtiler sind die Bötchen aus Grashalmen von Bethan Huws, die Intimität und Fragilität zusammenführen, auf die einzigartige Handlung der Faltung verweisen und Kontemplation und Respekt vor der Natur einfordern. Die „Veilchenmadonna“ von Stefan Lochner – als Ikone des Museums – findet sich nun an anderem Ort und damit in neuen Zusammenhängen. Wie schön, mit der Freiheit des Sujets wieder auf Terry Fox und Paul Thek zu stoßen.
Kolumba, Raum 19: Victoria Bell, Fliegende Lokomotive, 2005, rotes Zedernholz, verleimt, Schichtholz, Stahl und Edelstahl, © Künstlerin; Kolumba, Köln; Foto: Mareike TochaGeblieben sind darüber hinaus die Binnenausstellungen. Hervorzuheben sind Susanne Kümpel mit ihren Malereien auf Papier sowie Victoria Bell, die nun auch als Malerin vorgestellt wird und mit ihrer monumentalen „Fliegenden Lokomotive“ (2005) die Ausstellung beschließt, als herausragendes Beispiel für die „Freiheit des Denkens, das gemeinschaftliche Aushandeln, das Spiel und die Kraft der Utopie“, wie das Kuratorenteam im Taschenbuch für die Ausstellung ausgibt. Fast ist man enttäuscht, dass der Titel „make the secrets productive!“ ein Satz von Joseph Beuys ist, geschrieben 1977 auf eine verwitterte Holztür. Aber das ist eben auch Anliegen, wie das Museum schreibt: „Unsere Jahresausstellung versteht sich als Statement für die systemrelevante Dimension der Kunst in einer funktionierenden Demokratie“. Gesellschaftskritische Beobachtungen werden in schwierigen Zeiten formuliert, das Sehen und Hören geschärft, und die Geheimnisse bleiben und öffnen erst die Spielräume. Sie inspirieren, gegen den Strich zu denken.
Make the secrets productive! – Kunst in Zeiten der Unvernunft | bis 14.8.26 | Kolumba. Kunstmuseum des Erzbistums Köln | 0221 93 31 93 90
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