choices: Frau Zaremba, zocken Frauen anders als Männer?
Jutta Zaremba: Die Gretchen-Geschlechterfrage… Man kann das höchstens grob beantworten, weil es nicht DIE Spielerin gibt. Wir reden hier von einer Altersspanne zwischen circa 8 bis 80 Jahren! Bislang zeichnen sich eher einige bei Mädchen und Frauen beliebtere Games-Genres ab, zum Beispiel Lebenssimulationen wie „SIMS“, Rollenspiele wie „Final Fantasy“, Action-Adventures wie „American McGee‘s Alice“ oder Musik- und Bewegungsspiele wie „SingStar“ oder „Wii“. Gleichzeitig gibt es auch zahlreiche E-Sportlerinnen, die sich in Teams zusammenschließen, um intensiv und im Wettbewerb Shooter zu spielen.
Spielen Frauen weniger, weil sie Games weniger interessieren oder interessieren sie die Games nicht, weil sie darin nicht repräsentiert werden?
Das unterstellt ja, dass Frauen weniger gamen, was nicht stimmt! In der BRD sind fast die Hälfte aller Spielenden weiblich, in den USA ungefähr 41 Prozent. Und es spielen übrigens mehr Frauen über 18 Computerspiele als Jungen unter 18. Für ganz entscheidend halte ich das Stichwort „bedroom culture“. Das ist ein Begriff, den die britische Theoretikerin und Feministin Angela McRobbie 1975 zum Thema „Girls and Subcultures“ ins Spiel gebracht hat: Es kommt darauf an, in welcher grundsätzlichen Spielekultur man aufgewachsen ist, durch welche Spiele, Spielsachen und Spielformen man also seit der Kindheit geprägt ist.
Was bedeutet das in Bezug auf Games?
Dementsprechend bevorzugt man auch bei Computerspielen bestimmte Games und Genres beziehungsweise lehnt sie ab. Computerspiele sind also nur ein Teil einer viel größeren, gesellschaftlichen Spielekultur. In der Computerspielbranche gibt es schon seit Beginn der 1990er die „Pink Game Industry“, die mit Spielen wie „Barbie Fashion Designer“, „Nintendogs“ usw. den Konsum von extrem klischeehaften Pink Games rund um Kleidung, Make-Up, Kochen, Tiere, Liebe u.ä. vorantreiben möchte.
Seit wann spielen weibliche Charaktere eine Rolle in Videospielen?
Seit den 1980er Jahren: 1982 „Ms. Pacman“, 1986 Princess Peach in „Super Mario Bros.“, Zelda („The Legend of Zelda“) und Samus Aran in „Metroid“.
Was macht eine emanzipierte, feministische Protagonistin aus?
Wie sieht denn Ihre Wunschvorstellung aus? Diese Frage wird seit fast 20 Jahren von Frauen aus dem Gaming-Umfeld diskutiert und zeigt, dass die jeweilige Perspektive die Vorstellungen bestimmt. Das businessorientierte US-Portal „Womengamers“ hat Bewertungen von Protagonistinnen vorgenommen, nach folgenden Aspekten: Ihre Rolle im Computerspiel (zentral und aktiv oder nur erotische Nebenfigur), ihr Standing dem Geschehen gegenüber, ihr Stehvermögen im Kampf, ihr Aussehen, ihre Intelligenz und Stimme sowie Vermarktungsversuche des Spiels hinsichtlich Spielerinnen.
Und abgesehen von der Business-Perspektive?
Die Medienkritikerin Anita Sarkeesian nennt sehr viele wünschenswerte Aspekte, die sich allerdings nicht allein auf die Frauenfigur, sondern auch auf ihre Einbindung in die Handlung und in das kulturelle Setting des Spiels beziehen. Bei der Protagonistin betont sie die Charakteranimation, die eine große Auswahl an weiblichen Körper-, Kleidungs- und Alterstypen bieten soll, um beispielsweise auch großartige weibliche Bösewichte oder die Darstellung einer positiven weiblichen Erotik zu ermöglichen. Die möglichst autonome Protagonistin soll dann wiederum eingebunden sein in eine unterstützende Umwelt, in der Menschen und Kulturen ehrlich, respektvoll und humanistisch sind.
Was erwarten Sie von einer emanzipierten Protagonistin?
Aus meiner Warte kommt es zunächst auf das jeweilige Spielgenre an, das immer spezifische Möglichkeiten für die Inszenierung von entweder halbwegs realistischen oder stark überzeichneten oder deutlich abstrahierten Frauenfiguren und vieles mehr bietet. Grundsätzlich finde ich ambivalente, widersprüchliche Charaktere wünschenswert: mit Brechungen, Schwächen, überraschenden Entwicklungen – und gerne auch mit Humor.
Gibt es bereits Spiele, die diesen Kriterien entsprechen?
Ja klar: „Womengamers“ nennen z.B. die Agentin Cate Archer aus dem Detektivspiel „No One Lives Forever“, eine humorvolle und intelligente Variante von James Bond. Sie ist eine sexy Heldin, die sowohl männliches und weibliches Begehren auslösen kann als auch den Wunsch, so zu sein wie sie. In ihrer Reihe „Positive Female Characters“ widmet Sarkeesian ein ganzes Video der Fotojournalistin Jade aus dem Action-Adventure „Beyond Good & Evil“ – eine Figur, die ich eher zu den brüchigen Individualistinnen zählen würde. Sarkeesian unterstreicht bei Jade das Zusammenkommen von mehreren Ebenen: Wie Handlungselemente, Gameplay-Mechanismen und intelligenter Dialog so zusammenwirken, dass Jade zu einer verlässlichen Protagonistin wird, die sich durch ihre professionellen Talente, ihre altruistischen Überzeugungen und ihre Verbundenheit mit Freunden auszeichnet.
Frauen mit fetten Wummen die sich den Weg frei schießen wie Lara Croft – ist das nicht auch emanzipativ?
Das sind halt die Sheroes: Es sind meist übersexualisierte Kämpferinnen, deren Vorbilder aus Comics stammen wie Wonder Woman, Supergirl & Co, die sich selber wiederum auf Anteile von antiken Heldinnen wie Helena, Aphrodite, Athene oder Nike beziehen. Das mag emanzipativ sein, wenn man sich nach eindeutigen, starken weiblichen Vorbildern und Role-Models für Girl-Empowerment sehnt. Mir gefällt daran eher das Überzeichnete und Spielerische, was ich teils lustig finde. Angesichts der hohen Anzahl derartiger Sheroes ist natürlich die Sexualisierung mit Blick auf männliche Spieler bzw. Käuferschaft zu kritisieren. Wobei Lara Croft ja mittlerweile deutlich realer konstruiert ist bzw. „athletischer“, wie Spielentwickler Eidos es ausdrückt.
Stichwort Diversität: Gibt es auch „intersektionale“ Heldinnen, also solche, die schwarz, alt oder behindert sind?
Am besten noch alles in einer Person! (lacht). Weiße Protagonistinnen sind schon deutlich vorherrschend. Es gibt zwar einige schwarze Protagonistinnen wie Niobe im Actiongame „Enter the Matrix“ oder die Überlebende Rochelle im Shooter „Left 4 Dead“, allerdings oft zur stärkeren Sexualisierung des weiblichen Körpers oder wegen dem Reiz des „Exotischen“. Alte bzw. ältere Charaktere gibt es wenige. Wenn, handelt es sich meist um Hexen, Magierinnen oder Vampirinnen wie bei der Opernsängerin Mona De Lafitte aus „A Vampire Story“. Zu behinderten Charakteren ist mir nichts bekannt.
Wie sieht es mit lesbischen Heldinnen aus?
Lesbische Figuren sind ebenso noch selten: Es gibt das amüsante Point-and-Click-Adventure-Game „Queer Quest: All in a Gay’s Work“. Im Multiplayer-Ego Shooter „Overwatch“ gibt es das Lesbenpaar Lena Oxton und Emily, im Adventure „Life is Strange“ von 2015 kann die Vorgeschichte aus der der Sicht der lesbischen Protagonistin Chloe Price gespielt werden, und in der Welt von „SIMS 3,“ dem meistverkauften Computerspiel der Welt, können Schwule und Lesben heiraten und Kinder adoptieren.
In der Debatte um Ego-Shooter und den Zusammenhang mit Amokläufen wird argumentiert, Computerspiel-Gewalt sei keine echte Gewalt. Ist das Computerspiel-Gender auch kein echtes Gender und keine Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung?
Gegenfrage: Was ist denn „echtes Gender“? Reine Körperbiologie? Bei Gamefiguren geht‘s ja eher um ein „doing gender“, also um ein bewusstes oder unbewusstes Wiederholen und Einüben von Handlungen, Normen, Rollen, Einstellungen, in diesem Fall durch digitale Figuren – mit weiblichen ebenso wie mit männlichen Stereotypen.
Wie reagiert die Gamer-Community auf emanzipative Bestrebungen und feministische Kritik heute, vier Jahre nach #GamerGate?
Da Sexismus und Antifeminismus weiterhin in der gesamten Gesellschaft vorhanden sind, ist das durchaus auch ein Teil der riesigen und sehr unterschiedlichen Gamer-Community, was sich ja nicht so extrem äußern muss wie bei #GamerGate. Gerade im Internet kommt es auf Foren und in Tweets zu jeder Menge von Angriffen und Aggressionen gegenüber feministischen Aktivitäten, nicht nur von Gamerseite, Stichwort Netzfeminismus.
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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
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