Es ist schon ein Kreuz mit diesem Stück. So oft freudig gesehen, so oft boshaft amüsiert und doch bleibt es immer mehr eine Zeitreise in eine Vergangenheit, die nie mehr wiederkommt, weil sie von der Gegenwart längst ad absurdum geführt wurde. Alles was Werner Schwab anno dazumal (1990) auf den berühmten Fäkalhaufen für die Bühne warf, das Prophetenhafte einer Gesellschaft, in der die kleine Jungs vernaschenden Kirchen(un)menschen kaum noch eine Schlagzeile wert sind, wo Väter, die ihre Töchter vergewaltigen an der Tageordnung sind, genau wie Sklavenhandel und -haltung, wie jüngst in London, da bricht sie nicht mehr über uns herein die Schwabische Sprache als neue Urgewalt, oder die Atemlosigkeit, wenn Mariedl sich langsam mit bloßen Fingern durch die Exkremente knetet, um eine Dose feinsten Gulasch zu erhaschen, die der Pfarrer, wer sonst, dort für sie als Präsent versteckt hat. Warum also kauft das Kölner Theater dann eine acht Jahre alte, bis zum Verrecken durchgenudelte Inszenierung von Jan Bosse ein?
Keine Ahnung. Vielleicht aus dem gleichen Grund, weshalb in Düsseldorf „Das weiße Rössl“ mal wieder gebarrt wird, um nämlich Publikum zu generieren, dass zeitgenössischen Produktionen gern mal fernbleibt, dass sich längst aus der Schockstarre des Fäkalen gelöst hat und sich heute eben einmal nur amüsieren will. Über diese Pensionistinnen, die so arm sind, dass sie sich nie eine Karte fürs Kölner Depot hätten leisten können? Über die religiös verklärte Grete, deren Klone bei jeder Papstwahl den Petersplatz fluten? Über Erna, die ihren inzestuösen Mann ja irgendwie verstehen kann, schließlich war ihre Tochter ja viel jünger? Amüsement, tatsächlich? Tosender Beifall adelte die Kölner Premiere, lachende Gesichter, Worte wie „köstlich“ huschten durch die Reihen, dabei hat Regisseur Jan Bosse am Ende seiner Inszenierung tatsächlich Klone der drei auf die Bühne gestellt, die den „Präsidentinnen“ selbst unheimlich werden. Sie sind zwar jünger, aber dennoch sind zwei ebenso gefährdet, nach der Zertrümmerung ihrer Träume wieder zu Mörderinnen zu werden. Die Krux mit dem heiligen Stuhl währet eben ewig.
Zum Kitsch verkommen scheint dabei nicht nur das Stück, den Kitsch zelebriert Bosse selbst, wenn er die Reise der drei vom Leben gebeutelten Frauen gleich in einem Triptychon des visuellen Übermaßes verhandelt, da findet sich multikulturelle Requisitenpower made in Zürich. Religiöser Schnickschnack aus Fernost und West, Schubladen zu Schlafen, ein weißer Toilettenstuhl, Sperrmüll zum Niederknien mit Spiel- und Kaugummiautomat. Und auch die Kostüme spiegeln den Kitsch mächtig wider. Auf dem überdimensionierten Altar, weiterentwickelt aus Hieronymus Boschs Weltuntergangs-Triptychon, wird Mariedl am Schluss ans Kreuz genagelt und schön ausbluten gelassen. An der für dieses Stück überaus wichtigen Qualität der drei Schauspielerinnen (Olivia Grigoli, Yvon Jansen, Karin Neuhäuser) mangelte es beileibe nicht. Nur wer hält jetzt die Aborte sauber?
„Die Präsidentinnen“ | Do 19.12. 20 Uhr | Depot 2, Köln | 0221 221 284 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Wohin, David?
„Mein Onkel David“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 08/25
Vergessenes Weltwunder
„Mein Freund, der Baum, sieht rot“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 07/25
Unter blauäugigen Hunden
„Traudl Junge – Im Schatten des Bösen“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 06/25
Wieder Mensch sein dürfen
„Das Tagebuch der Anne Frank“ im Leverkusener Erholungshaus – Theater am Rhein 05/25
Fragen als Gemeinsamkeit
„Hiob“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 05/25
Raus ins Leben?
„Draußen“ in der Kölner Stadthalle Mülheim – Theater am Rhein 05/25
Der Übermann
„Boys don‘t cry“ in der TanzFaktur – Theater am Rhein 04/25
Zwischen den Fronten
„Making the Story“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Die Grenzen des Theaters
„Was ihr wollt“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Im Schatten der Diktatur
„Jugend ohne Gott“ am Comedia Theater – Theater am Rhein 03/25
Der Mensch als Scherbe
„Der zerbrochene Krug“ am Horizont Theater – Theater am Rhein 03/25
Totale Berührung
„Do not touch!“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 03/25
De Rach vun der Fleddermus
„De Kölsche Fledermaus“ an der Oper Köln – Theater am Rhein 02/25
Das Ende der Herrlichkeit
„Der Fall Ransohoff “ am Orangerie Theater – Theater am Rhein 02/25
Überladenes Gezwitscher
Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ und „Endsieg“ in Bonn – Theater am Rhein 02/25
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater am Rhein 01/25
Ausweg im Schlaf
„Der Nabel der Welt“ in Köln – Theater am Rhein 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24