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Foto: Marina Wudy

Poesie und Glamour

17. November 2022

Rupi Kaur in der Kulturkirche – Lesung 11/22

Es ist eine lange Menschenschlange, die sich an diesem Freitagabend durch die Siebachstraße in Nippes zieht. Das Publikum: Fast ausschließlich weiblich. Die Künstlerin, wegen der sie an diesem Abend in die Kulturkirche gekommen sind: Rupi Kaur, Instapoetin aus Kanada mit indischen Wurzeln. Aber Kaur ist nicht nur irgendeine Instagram-Poetin, sie ist DIE Instagram-Poetin: Ihr erster Lyrikband, milk and honey, hat sich über 3,5 Millionen Mal verkauft und damit Homers Odyssee als bestverkauften Text in Versform abgelöst. Auf der Social Media-Plattform Instagram, auf der sie ihre Gedichte erstmals teilte, hat sie über 4,5 Millionen Follower. Seit Anfang Mai ist sie auf Welttournee, füllt ganze Hallen mit ihrer Show. Und die ist so simpel wie glamourös, wie sich an diesem Abend zeigt.

Als Kaur am 20. Oktober um kurz nach 20 Uhr die Bühne betritt, trägt sie ein glänzendes Kleid mit Sternen, einen wallenden Umhang, auffälliges Makeup. Ihre Outfits sind Teil der Show, sie wurden extra für sie designt, für jeden Auftritt ein anderes Kleid. Und so präsent wie ihr Outfit ist auch Kaur selbst: In dem Moment, in dem sie die Bühne betritt, ist sie da, strahlend und sicher. Als das Mikro gleich zu beginnt ausschlägt, macht sie einen Witz, über die Geister böser Exfreunde, die schon wüssten, dass gleich über sie gesprochen wird. Das Publikum lacht, Kaur hat sie sofort für sich eingenommen. Sie beginnt mit ihrem ersten Text, es geht um Depression, und schon in diesem einen Text wechselt Kaur von lustig zu ernst, von tiefsinnig zu ironisch. and let me tell you / finding the right therapist is like dating heißt es dort. Und in einem anderen Vers: depression is a lonely disease / there's no cure that fits all.

Zugänglichkeit und Feminismus als zentrale Werte

Es folgen Texte über misslungene Dates, den eigenen Selbstwert, und darüber, wie es ist, als Tochter von Migrant:innen in einem fremden Land aufzuwachsen. Kaurs Kernthemen ziehen sich durch alle Texte: Feminismus, mentale Gesundheit, Migration. Dazwischen erzählt die Poetin von den Erfahrungen, die sie zu ihren Gedichten inspiriert haben; manche Gedichte spricht sie frei, untermalt von Musik, manche liest sie ab. Das Publikum hängt an ihren Lippen, nach jedem Text gibt es minutenlangen Applaus. Einen Großteil der Show gibt sich Kaur dabei stark und souverän, immer wieder betont sie in ihren Texten, dass sie sich nicht kleinmachen wird in einer von Männern dominierten Welt, kritisiert die unterschiedlichen Standards, nach denen die Leistungen von Frauen bewertet werden: they convinced me / I only had a few good years left / before I was replaced by a girl younger than me / as though men yield power with age / but women grow into irrelevance.

Dabei spricht Kaur auch ganz gezielt die Kritik an, die ihr bis heute entgegenschlägt. „Meine Texte werden als nicht künstlerisch genug kritisiert“, sagt sie. „Angeblich, weil sie zu viele Menschen lesen.“ Damit spricht sie ein Vorurteil an, das bis heute noch viele Bereiche der Kunst dominiert: Dass sie über einen gewissen elitären, exklusiven Touch verfügen muss, der sich nicht allen sofort erschließt. Doch genau dagegen geht Kaur in ihrem Werk ganz bewusst an: „Ich finde, dass Zugänglichkeit in der Kunst gut ist“, sagt sie. Das Publikum johlt. Kaurs Erfolg gibt ihr Recht. Und: Sie hat die Lyrik - einen Bereich, der bis vor einigen Jahren noch als komplett unprofitabel galt – auf die große Bühne geholt, tourt wie sonst nur Rockstars mit einem eigenen Bus und extravaganten Outfits um die ganze Welt. Das muss ihr erst einmal jemand nachmachen.  

Marina Wudy

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