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Natalia Ginzburg
Foto: Verlag Klaus Wagenbach

Ein wunderbarer Sound

27. März 2025

Natalia Ginzburgs Roman „Alle unsere Gestern“ – Textwelten 04/25

Natalia Ginzburg war keine Feministin und zugleich eine Schriftstellerin, die mit radikaler Konsequenz aus der Perspektive der Frauen schrieb. Das Paradox ist die Keimzelle ihres Werkes und wenn man ihren herrlich kauzigen autobiographischen Texten glauben darf, auch ihrer Person. Sie pflegte das Paradox, weil sich aus ihm der Humor ihrer Romane und sein kaum merklicher Übergang in die Tragödie speist. So ist Anna, die Protagonistin ihres Romans „Alle unsere Gestern“ die Jüngste einer lauten und ziemlich lebendigen Familie des italienischen Bürgertums, die in einer Kleinstadt nahe Turin lebt. Niemand hört auf die 16-Jährige, alle sind mit ihren narzisstischen Angelegenheiten beschäftigt, während im Hintergrund der Zweite Weltkrieg losbricht.

Anna trifft sich mit einem Nachbarsjungen, der auf ein Schweizer Internat geht. Sie sprechen im Café über die Gedichte von Eugenio Montale und verschwinden immer häufiger in den Büschen des nahen Parks. Anna wird schwanger, was niemandem auffällt. Sie ahnt die Katastrophe, bleibt aber handlungsunfähig. Bis sie sich Cenzo Rena, einem weltgewandten Freund der Familie, offenbart, der dreimal so alt ist wie sie. Cenzo Rena schlägt ihr eine Heirat vor. Sie willigt ein, die beiden ziehen in ein Dorf im Süden und der lebenshungrige Cenzo Rena wird zum zentralen Protagonisten des Romans. Natalia Ginzburg liefert in diesem erstmals 1952 erschienenen Roman ein gesellschaftliches Panorama der bürgerlichen Linken während des Zweiten Weltkriegs. Sie selbst lebte in dieser Zeit mit drei kleinen Kindern in einem ähnlich abgelegenen Dorf, nachdem ihr Ehemann Leone Ginzburg von den Deutschen zu Tode gefoltert worden war.

Anna hört, was die Menschen sagen und konstatiert, was sie tun, und das deckt sich nie miteinander. In dieser trockenen Sachlichkeit liegt der große Charme der Prosastimme von Natalia Ginzburg. Sie schildert das Äußere ihrer Figuren, wie es in ihrem Inneren aussieht, davon können wir uns dann selbst ein Bild machen. So blähen sich etwa die Männer mit großer Geste auf, während die vermeintlich schwachen Frauen ihre Stärke in ihrer Authentizität besitzen. Ein Vexierspiel, nach dem man süchtig werden kann.

Natalia Ginzburg: Alle unsere Gestern | A. d. Ital. v. Maja Pflug | Verlag Klaus Wagenbach | 336 Seiten | 26 Euro

Thomas Linden

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