Da steht er nun fuchtelnd mit seinem Säbel und weiß keinen anderen Ausweg mehr, als sich selbst zu richten. Die Anklage: Schweres Vergehen gegen die Ehre. Das Urteil: Das Herz mittels blanker Waffe an weiteren Fantastereien und Hoffnungsproduktionen zu hindern. Die Hürde: ein gnadenloses Gewissen. „Mensch, Gustl, was haderst du?“, fragt sich der Leser in Arthur Schnitzlers Novelle aus dem Jahre 1900 zwangsläufig in Anbetracht der Unzufriedenheit und Verachtung, ja dem Ekel des Protagonisten.
Stets mäandernd zwischen Narzissmus und Unterwürfigkeit, Spott und Feindseligkeit für und gegen die über- sowie untergeordneten Stände im Zeitalter der Monarchien, der Uniformiertheit, findet sich der junge Offizier eines Tages in einer unbefriedigten Gesellschaft wieder, die sein Waffenrasseln mit einem bemitleidenswerten Lächeln als dumme Protzerei entlarvt. Ein Bäckermeister wagt es, den Soldaten seiner Majestät mit starken Händen an der Herausforderung zum Duell zu hindern. Mit dieser Scham behaftet wandelt Gustl nun durch die Nacht, um seine letzten Stunden in Selbstmitleid zu zelebrieren.
Die Geschichte fand im Laufe der Dekaden in zahllosen Spielstätten ihre Auferstehung. Am Theater im Bauturm wurde der zeitlose Stoff nun in einer Köln-Premiere auf die Leinwand transferiert. Die rund 60-minütige Regiearbeit von Nick Hartnagel wurde im Sommer 2021 an markanten Plätzen der Dom-Metropole mit einer furiosen wie empathischen Karolina Horster gedreht und bislang lediglich bei den Hofer Filmtagen im Herbst jenes Jahres gezeigt. Nahezu ohne Schnitte teilt die Aktrice ihren Monolog mit den Zuschauer:innen durch die Kamera der nicht minder brillanten – weil mitleidenden und erleuchtenden – Lizzy Geble, die tief in Gustls geistige Abgründe filmt. Ein atmosphärischer Soundtrack aus der Feder von Lukas Lonski und Felix Classen wirbelt im nächtlichen Trip über leere Plätze und Straßen die Erinnerung an den Rausch des Daseins, des Zusammenseins aber auch der Ernüchterung auf. Ein neuer Morgen stellt die Uhren auf Null und die Absurditäten des größten aller Bühnenstücke – des Lebens selbst – beginnen erneut.
Für vier Euro erwartet das Publikum eine allzu menschliche Begegnung mit einem guten alten Bekannten, hinter dessen schmucken Montur die Angst am romantisch-verklärten Heldentod webt. Leutnant Gustl ist dennoch gut ins 21. Jahrhundert gekommen und bietet großes Kino per Video-on-Demand.
Leutnant Gustl | Video-on-Demand (über www.qultor.de/digital) | Theater im Bauturm | www.theaterimbauturm.de
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