Was tun Frauen in monströsen Umkleidekabinen? Was haben Heidegger und Kant davor zu schaffen? Es kommt der Tag, da will der Hase shoppen, oder? Eigentlich könnte das Stück auch nach der Hälfte der Zeit zu Ende sein, doch die österreichische Autorin Elfriede Jelinek hätte schon ihren immer wohlbekleideten Körper verlassen müssen, um dies tatsächlich auch zuzulassen: „Schnauze, Elfi, mach mal Halblanges, nicht immer so was Langes.“ Denkste.
Jan Philipp Gloger, Jelinek-Experte durfte in der Düsseldorfer Ersatzspielstätte am Bahnhof (das Schauspielhaus soll in diesem Jahrzehnt noch fertig werden) deren Uraufführung von „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“ inszenieren. Für den 90-Seiten-Wörter-Teppich über Gott, die Welt und Haute-Couture-Exzesse kreiert Gloger eine sechsköpfige Muse (und ein kleines Mädchen), die verteilt seine selbst gesetzten Dialoge setzen. Es geht um Altern von Mensch und Kleidung, die Halbwertzeiten ähneln sich, die Taktfrequenzen nicht. Was heute noch topaktuell, kann morgen schon von gestern sein, die Geschwindigkeiten überbieten sich, der Mensch, die Muse, die Autorin wollen da nicht mehr mithalten. Wer Mode nur goutiert, weil er sonst von nichts eine Ahnung hat, spielt dem System eben immer weiter in die Fäden. Glogers Regie macht sich diese Kreuzstiche zunutze, webt Catwalks, den immer mehr Pakete schleppenden Paketboten, nebst Onlineshoppingmodi, „schicken sie es zurück“, wenn es nicht gefällt, aber ein- zweimal tragen, das muss doch erlaubt sein, hinein. Die Frage bleibt: Verlieren wir uns im Kleiderwahn als Ersatzdroge für die Unumgänglichkeit der Sterblichkeit?
Dramatisch ist die Inszenierung ein Tanz um die schicke Zweiraumwohnung, die in ihrer Funktionalität Umkleideräume kopiert. Hinter den Vorhängen wird probiert, da wird gehofft, gebangt, der Bärenkopf und sein Fell weitergereicht. Im Gebüsch vor den hellen Fenstern lauert Gefahr. Aufruhr wegen menschenunwürdiger Produktionsbedingungen, die Magie der Outlet-Stores, „Alles muss raus, sie müssen rein“, Wildnis inbegriffen, da agieren Zombies für die neue Hose, „ihre Größe haben wir nie, werden wir aber reinbekommen, wenn sie nicht da sind“. Die Selbstbeweihräucherung der Schönheit bleibt grenzenlos. Am Ende sind wir doch alle Giselle Bündchen, der Tod, das überflüssige Treibgut. Noch einmal: „Vor einer halben Stunde hätte es auch schon gepasst.“ Nicht die Robe, nicht die Hose, sondern der Schlussmonolog. Doch sie kommen, die alles einst produzierten, aber nichts zu essen haben. Knüppel aus dem Sack. Mode erfindet sich neu, nur die blöden Körper werden immer älter. Wer denkt, der Faden sei verloren – denkste – da werden wir überschwemmt mit ganz neuen Käuferschichten, die Musen ähneln immer mehr der Autorin. Nur die Japaner Yohji Yamamoto und Rei Kawakubo scheinen bei Jelinek den Faden zu trennen, ihre Entwürfe seien nicht mehr tragbar, nicht mehr vorzeigbar, nicht mehr kopierfähig (dabei sind beide absolut großartig). Kunst als reine Kraft kann in der Mode aber scheinbar niemand wollen, selbst Fuchs und Hase und der Bär wenden sich im Lichte des Kastens ab. Trauer legt sich schwer über die Bühne, wenn das kleine Mädchen den Spiegel auspackt. Die Schönste im Land hat es noch nie gegeben. Hauptsache die Hose geht zu.
„Das Licht im Kasten“ | R: Jan Philipp Gloger | So 5.2. 18 Uhr, Do 16.2., Mi 22.2. 19.30 Uhr | Central Große Bühne, Düsseldorf | 0211 36 99 11
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