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Das Schlachtfeld wird ungemütlich: Kalte Rhetorik gegen schreiende Empathie. Am Ende verlieren alle.
Foto: Sandra Then

Gladiatoren, die in der Arena weinen

25. Januar 2018

„Konsens“ im Düsseldorfer Central am Bahnhof – Auftritt 02/18

Schon der Begriff der sexualisierten Grenzüberschreitung erzeugt Unbehagen und er verwässert im inneren Kontext ein Verbrechen, das immer noch in den Köpfen vieler Männer eben nur als ein solcher Übertritt bewertet wird. Aber genau dieses Dilemma zwischen Gewaltbeweis und Rechtsprechung wird jetzt im Düsseldorfer Schauspielhaus zum Kern eines Stückes, das als Lösung des Umgangs mit dem Problem das Boulevardeske sucht.

Am Anfang steht die sprachliche Verrohung der Gesellschaft, längst sind Begriffe wie „schwul“ und „behindert“ in deutschen Schulklassen unwidersprochen salonfähig  geworden. Im Stück „Konsens“ der englischen Autorin Nina Raine sind es die Juristen, die in ihrem familiären Umfeld den Hardcore-Begriffen frönen, das macht sie in ihren Augen attraktiv und selbstsicher. Und so „ficken“ sie ihre Gegner bei Gericht, wenn sie die Gegenüber sprachlich überfordert haben, sie „vergewaltigen“ Rentnerinnen, Frauen, Männer, alle, die in ihren Fällen unterlegen sind, sogar mal einen schwulen Polizisten. Die Bühne ist dabei eine Arena mit weißen Bettlaken: Nichts scheint dauerhaft, man schiebt ein blaues Designersofa gern hin und her, aber Spielfläche ist auch eine Empore mit langer Rampe, wo einzelne Protagonisten die Szenerie von oben betrachten, und ein bunter Flipper steht herum. Doch zuerst sind da die zwei befreundeten Paare, ein Kind wurde geboren, vaginal von Kitty versteht sich, das Geplauder ist austauschbar, bis Rachel (Cathleen Baumann) und Jake (Thiemo Schwarz) gehen und ihre undurchsichtige Beziehung bei Edward (Torben Kessler) und Kitty (Sonja Beißwenger) zum Thema wird. Schnell wird klar, Jake ist fremdgegangen, Rachel wirft ihn raus. Normal? Währenddessen wird ein Vergewaltigungsfall vor Gericht verhandelt, Ed und sein Freund Matt (Moritz Führmann) stehen sich dort als Verteidiger und Staatsanwalt gegenüber: Gayle (Karin Pfammatter), die wohl in ungeordneten Verhältnissen lebt, hat zum Vergewaltiger mehrfach nein gesagt, war aber betrunken und verwirrt und lag in ihrem Bett – und außerdem ist sie ja noch in Therapie. Ein gefundenes Fressen für Ed, der sie daraufhin verbaljuristisch in Grund und Boden argumentiert, bis sie verzweifelt aufgibt. Der Mehrfachtäter kommt davon. Ihr Scheitern wird zum Fanal für alle Beziehungen an diesem Abend. Niemand wird ungeschoren davonkommen, auch die zwei Singles Matt und Zara (Tabea Bettin) irgendwie nicht, die anfangs noch verkuppelt werden müssen.

Lore Stefanek inszeniert das Ganze als höllische Form des Boulevard – sogar ein wenig Slapstick und Sprachwitz wurde nicht ausgelassen – denn immer schwebt dieser Freispruch im Fall von Gayle über allen, oft stehen die Personen auch einfach nur außerhalb der Dialoge, und: Die miesen Mechanismen der Justizrhetorik erreichen die Privatleben, zwingen Rachel zurück in die Beziehung mit Jake, Kitty werfen sie aus der Bahn, die kalte Rhetorik treibt sie davon. Die Standard-Choreografie in diesem Genre des unsexualisierten Rein und Raus, also Tür auf, Tür zu, durchbricht die Regie mit der Rampe, über die einzelne Figuren unhörbar fliehen können. Die beiden Singles Zara und Matt finden final zusammen, doch Kinderwünsche auf dem letzten Drücker sind der Kitt dieser Beziehung. Beim Rest drängt die Frage nach Beginn, Wesen und Ursachen von Untreue die Vergewaltigungsdebatte in den Hintergrund, das Unfertige des Bühnenbilds spiegelt die Brüchigkeit der nicht liebenden Liebenden, ausgerechnet der Edward wird am Ende der ganz große Verlierer sein, denn niemand auf der Bühne und im Publikum glaubt noch an die Argumente, die Logik der Anwälte. Doch dann taucht Gayle bei der Silvesterparty auf und erzählt die ganze Geschichte für die Ursache ihrer Therapie – die erste Vergewaltigung vor zehn Jahren. Das Argumentationsgerüst von Ed bricht zusammen, seine Frau auch. Nach der Pause werden die Rackeakte verhandelt, Gayle hat sich da aufgehängt.

Das erste was nach dem Premieren-Kaltgetränk auffällt: Der Flipper ist weg. Jetzt wird es ernst. Kitty verlässt Ed ausgerechnet für Matt, der schießt zurück. „Bei manchen Leuten klingt Liebe wie Hitler“, und es wird noch ungemütlicher, Vergewaltigung in der Ehe, ein nicht gerechtes Scheidungsrecht und die Zerstörung anderer wegen schnöder Rache. Auf der Strecke bleibt das Kind, dessen Existenz sich irgendwann in Luft auflöst. Trotz einer eingestandenen Abtreibung, eingeforderter Empathie und ein paar schnelle Verweise auf die göttliche Medea. Das Schlachtfeld bleibt, Edward bittet auf Knien ungehört um Verzeihung. Ende? Nein. Gayle lächelt böse von der Empore.

„Konsens“ | R: Lore Stefanek | 6., 16., 21.2. 19.30 Uhr,  4.3. 18 Uhr | Central Düsseldorf | 0211 852 30

PETER ORTMANN

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