Ein Tagungshaus mitten im Wald. Fünf Frauen und Männer sind angereist, um ihre Profile als Coaches bei der High-End-Fortbildung „Work & Life“ zu schärfen: eine neugierig-manipulative Business-Expertin (Karin Kettling), ein ebenso abweisender wie arroganter Smartphone-Junkie (Bernhard Bauer), eine energische Hochschwangere, die Kinder auf die gewünschte Spur bringt (Sonja Baum), ein schüchterner Jüngling (Tobias van Dieken) und eine Dame in roten High Heels, die mit Tarotkarten arbeitet (Karin Moog).
Man beschnuppert sich, markiert professionelle und persönliche Reviere, wartet auf den Ober-Coach. Und wartet. Da das Haus bis auf die Gäste leer bleibt und eine vorzeitige Abreise ausscheidet, ist man auf sich selbst zurückgeworfen. Ein Teil des Konzepts? So wie in Sartres Drama „Geschlossene Gesellschaft“ die Hölle die Anderen sind, so lodert sie in der Uraufführung von Lothar Kittstein (Text) und Michael Lippold (Regie) in jedem Einzelnen auf der Suche nach Selbstoptimierung. „Ich bin wie ein Reh im Scheinwerferlicht, immer gehetzt“, bringt es eine auf den Punkt, „und das Auto, das auf mich zurast, ist das nächste Projekt“. Es gibt viele pointierte Sätze in dem hochaktuellen Stück, bei denen man zwischen Lachen über wiedererkannte Zustände, Schlucken und resigniertem Nicken schwankt.
Großartig spielt das gesamte Ensemble im wechselnden Modus von lächelndem Fassadenschutz, Panikattacken und unaufhaltsamer individueller Kernschmelze. Wirkungsvoll erzeugt die Bühnengestaltung (Sarah Bernardy) mit verrückbaren Stellwänden und Videoprojektionen (Freya Hattenberger) eine latent bedrohliche Atmosphäre, die Erinnerungen von „The Shining“ bis David Lynch triggert. Wiederkehrende Sounds, die den Druck erhöhen, sind hingegen zu viel des Guten. Dass die Aufführung im zweiten Teil immer mehr ins Mysteriöse driftet, unterläuft Erwartungen, schafft Irritationen und verhindert Vorhersehbarkeit. Ob die Protagonisten – als Spiegelfiguren unseres Stress-Systems – am Ende zur ewigen Wiederholung in einer Art Fegefeuer verdammt sind oder ein Level weiterkommen im aufgezwungenen Spiel der Perfektionierung, darüber lässt sich noch eine Weile nachsinnen.
„Zu spät! Zu spät! Zu spät!“ | 12.-14.12. 20 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42
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