Ohne dass das Licht im Zuschauerraum erlischt, ohne irgendeine Vorwarnung öffnet sich der Vorhang und das Stück beginnt. Zu sehen sind sieben Schauspielerinnen und Schauspieler, die in einem Sprechchor „Die Büchse der Pandora“ nach Hesiod dem Publikum entgegenschleudern. Am Ende stehen sie ganz vorne am Bühnenrand und alle wiederholen wieder und wieder: „So brachte die Frau / das Weib / in Gestalt der Pandora / das Unglück über die Menschheit“.
So beginnt „House of Horror. Theater, Frauen, Macht“ im Bonner Schauspielhaus. Die Hauptrequisite auf der Bühne ist ein monströses Sofa, das für Macht steht, und auf das sich die Schauspieler direkt stürzen. Es beginnt ein Strudel aus Szenen, nachgespielte Vorsprechen, bei denen meist Männer als Regisseure Anweisungen geben wie: „Du bist die Frau, gib dich hin, du willst es!“, oder: „Emilia Galotti, das ist eine starke Frau, die will sterben!“ Schnell wird klar, das Stück setzt sich mit sich selbst auseinander, schaut auf die eigenen Strukturen und bringt das Theater auf die Bühne. Die Regieanweisungen zeigen die Hierarchien, den Machtmissbrauch, und dass an Schauspielerinnen andere Ansprüche gestellt werden als an ihre Kollegen. Von ihnen wird mehr erwartet: mehr Leistung, mehr Körperlichkeit, mehr Erotik.
Das wird besonders deutlich anhand „Titus Andronicus“, einer Tragödie von Shakespeare. Eine Theaterprobe wird auf der Bühne nachgestellt, alles dreht sich um die Vergewaltigungsszene, bei der schließlich die Grenzen zwischen Kunst und Realität verschwimmen: Die „vergewaltigte“ Schauspielerin (Lydia Stäubli) bricht die Probe ab, sie hat wirklich Schmerzen. „Ihr wollt Gewalt spielen und tut mir selbst Gewalt an.“ Daraufhin entflammt eine hitzige Diskussion über die Notwendigkeit der Darstellung von Gewalt auf der Bühne. Das letzte Wort hat der Regisseur (Daniel Stock): „Dein Schmerz erzeugt Kunst“ und „Ich will die Gewalt spüren“. Die Machtstrukturen sind auch hier klar verteilt. Für ihn ist es keine Option die Vergewaltigung nicht explizit darzustellen – das sei doch, was das Publikum wolle! Als sich die Schauspielerin weigert weiterzuspielen, findet sich sofort Ersatz: eine andere Frau, die die Vergewaltigung auf der Bühne über sich ergehen lassen möchte.
Das Stück kritisiert Machtverteilungen hinter den Kulissen, aber auch die Darstellung der Frau auf der Bühne. Frauenrollen seien geprägt von Gewalt; Vergewaltigungen und Selbstmord – gerade in den Klassikern: das Gretchen in Goethes Faust, Antigone nach Sophokles, Woyzecks Marie nach Büchner. Die Liste von toten, misshandelten, vergewaltigten Frauen in Stücken, geschrieben von Männern, lasse sich ewig weiterführen. Sie fordern interessantere, stärkere, ungewöhnlichere Frauenrollen, eben Rollen wie Männer sie spielen dürfen.
Abwechselnd mit den Profis treten auch Laiendarstellerinnen auf. Sie kommen alle aus Bonn und haben sich für das Stück gemeldet, weil sie sexuellen Missbrauch, alltäglichen Sexismus und Machtmissbrauch in der Familie erfahren haben. Sie erzählen ihre Geschichten, aber nie allein, sondern immer zusammen im Sprechchor. So wird deutlich, dass die Geschichten keine Einzelfälle sind, dass vielen Frauen das gleiche zustößt.
Die Inszenierung (Regie: Christine Lang und Volker Lösch) ist sehr persönlich mit eigenen Geschichten und Erfahrungen der Darsteller. Dadurch stecken viele Emotionen, viel Energie und viel Wut in dem Stück. Es wird immer wieder auf Bonn verwiesen: auf die Uni, auf Institutionen und immer wieder auf die Strukturen im eigenen Haus, am Theater. Hier liegt eindeutig die Stärke der Inszenierung.
„House of Horror“ will aber auch mehr sein: unterhaltsam, witzig, absurd. So besteht ein großer Teil am Ende aus einem vorproduzierten Film. Er zeigt, wie zwei der Schauspielerinnen (Sadrine Zenner und Birte Schrein) in das House of Horror unter die Bühne gezogen und mit all den Abgründen des Theater-Business konfrontiert werden: Täter der #metoo-Debatte wie Dieter Wedel, Sexpartys, vergessene und tote Frauen wie Olympe de Gouges und Elsa von Freytag-Loringhoven. Und zwischendurch immer wieder Zitate wie: „Es gibt drei Arten von Frauen: die Schöne, die Intelligente und die Mehrheit“, mit der nachfolgenden Frage: „Na, wer hat’s gesagt?“ – in diesem Fall Rainer Werner Fassbinder.
Der Film macht den Abend ein bisschen lang. Nichtsdestotrotz schafft es das Stück die vielen Teile und Geschichten schlüssig miteinander zu verbinden. Es ist unterhaltsam und schockiert, zeichnet ein Bild der Theaterwelt, die ja „Gesellschaftskritik zeigen will, aber selbst unkritisch gegenüber seinen Machtstrukturen ist“. Am Ende fordern die Darsteller ganz deutlich: gleiche Gagen, Stücke von Frauen mit Frauen, die Abschaffung von Macht, einen neuen Kanon ohne die sexistischen Klassiker – eine Zukunft, in der kein Feminismus mehr gebraucht wird, in der wirkliche Gleichheit herrscht. Nach all den Geschichten im Laufe des Abends sind die radikalen Forderungen nur logisch, kommen aber beim Premierenpublikum weniger an. Der eher verhaltene Applaus wird der Energie des Stückes nicht gerecht. Als Symbol für die all die Ungerechtigkeit wird das riesige Sofa am Ende gesprengt, die Macht somit abgeschafft.
„House of Horror. Theater. Frauen. Macht“ | R: Christine Lang und Volker Lösch | 31.5., 6., 19., 22., 29.6. je 19.30 Uhr, 16.6. 18 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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