Er hat genug. Endgültig genug. Michael Kohlhaas ist wütend, auf die korrupten Höflinge, auf die desinteressierten Herrscher, auf Gott und die Welt. Dabei will er doch nur Gerechtigkeit, einen Ausgleich für seine zugrunde gerichteten Pferde, die der Junker Wenzel von Tronka mit Hilfe einer Lüge in die Finger bekommen hat, und Reparationen für seine Magd Herse, die von den Männern des Junkers zusammengeschlagen wurde. Das muss doch möglich sein. Ist es aber nicht. Also nimmt Kohlhaas das Recht selbst in die Hand und entfacht eine Spirale der Gewalt, die alles in den Abgrund reißt. Als erstes die Gerechtigkeit. Und die Menschlichkeit. Mit „Kohlhaas (Can‘t Get No Satisfaction)“ hat Regisseurin Rebekka David diese Entrechtung in Verbindung mit lupenreinen Antidemokraten, Rechten, Wut- und Reichsbürgern gebracht. Jetzt ist die Inszenierung am Theater Bonn zu sehen.
Im Gegensatz zu manchen anderen Inszenierungen der berühmten Novelle von Kleist ist Davids „Kohlhaas“ kein Stück über einen getriebenen Antiheld im Kampf gegen das korrupte System, sondern vielmehr über einen, der sich vom Rachegedanken treiben lässt und gar nicht nach einem Ausweg oder einem Kompromiss sucht. Der einst rechtschaffene Rosshändler (Janko Kahle) hat das Vertrauen in den mittelalterlichen Gesellschaftsvertrag verloren und kündigt diesen mit brutalen Mitteln auf. Er mordet und brandschatzt mit ausgeprägter Maßlosigkeit, schleift zunächst die Tronka-Burg und wendet sich dann Wittenberg zu. Dass er dabei in erster Linie Unschuldige trifft, ist ihm egal. Das macht ihn aber auch eindimensional – was nicht weiter schlimm ist, da Kohlhaas zwar der ursprüngliche geistige Brandstifter ist, der Aufstand seines marodierenden Haufens aber schnell seiner Kontrolle entgleitet. Im Mittelpunkt steht ab diesem Moment sein Gehilfe Waldmann (stark: Daniel Stock), der sich als mittelalterlicher Anarchist sichtlich wohl fühlt und jegliche Ordnung zerstören möchte. Für die Erfüllung seiner Ziele geriert er sich sogleich als Stimme des Volkes, das sich nach einer neuen Ordnung sehne, in der die Macht in ihren Händen liege. So geht Populismus. Andererseits nutzt Regisseurin David die Gelegenheit, um auch andere Positionen zu beleuchten: Küchenknecht Karl (Jacob Z. Eckstein, der noch fünf andere Rollen meistert) sehnt sich nach einer Rückkehr der Ständegesellschaft, während Mittlerin Elken zum friedlichen Protest mit Menschenketten und Demonstrationen aufruft, was im Kontext des 16. Jahrhunderts zwangsläufig absurd klingt.
Natürlich sind die systemkritischen Passagen kein Bestandteil der Kleistschen Vorlage, was nicht nur durch die Überfülle an Metaphern deutlich wird, sondern auch durch zahlreiche Anspielungen auf Revolten und Umwälzungen (inklusive einiger Verweise auf Donald Trump), die die Gegenwart belasten. Diese Modernisierung ist nett gemacht – dagegen wirken die Reitszenen in typischer Monty-Python-Manier (nur mit Kastagnetten anstelle von Kokosnüssen) schlichtweg albern. Die schlichte, aber effektive Bühne, das exzellente Lichtdesign sowie das zum Denken anregende Gesamtkonzept können derartige Spielereien aber zum Glück verkraften.
Kohlhaas (Can‘t Get No Satisfaction) | 8.3., 13.3., 22., 29.3. je 19.30 Uhr, 27.4. 18 Uhr | Schauspiel Bad Godesberg | 0228 63 23 07
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