„Are you a writer?“, fragt der Beamte am Flughafen, worauf die einst international gefeierte französische Schriftstellerin Sidonie Perceval (Isabelle Huppert) „Yes and no“ antwortet. Sidonie hat schon lange nichts mehr geschrieben. Seit dem Unfalltod ihres Mannes Antoine (August Diehl) lähmt sie eine Schreibblockade, die einhergeht mit einer Depression. Sidonie fühlt sich leer und antriebslos. Als die Einladung ihres japanischen Verlegers Kenzo (Tsuyoshi Ihara) zu einer Lesereise durch Japan eintrifft, lehnt sie also zunächst ab. Als Freunde sie drängen und der Verleger zudem verspricht, sie müsse sich um nichts kümmern, nimmt Sidonie die Einladung an. In Japan angekommen wird sie mit den üblichen im Kino gern gezeigten Bildern und Situationen – und auch immer wieder mit Antoines Geist – konfrontiert. Wann verbeugt man sich wie lange vor wem? Wer steigt zuerst in ein Fahrzeug? Warum sind Hotelfenster immer verriegelt? Und wie geht man mit den allgegenwärtigen Geistern um? Doch in dem poetischen, einfühlsamen Film „Madame Sidonie in Japan“ (Filmpalette, auch in OmU) geht es weniger um kulturelle Unterschiede, sondern vielmehr um Gefühle wie Trauer, Verlust und Selbsthinterfragung. Es sind wunderschöne, ruhige Bilder ohne viele Worte, mit denen Élise Girard diese Geschichte über das Älterwerden erzählt. Um Leidenschaft darzustellen, braucht es keine zerwühlten Bettlaken. Es reichen manchmal nur zwei Hände, die sich auf einer Taxirückbank peu à peu immer näherkommen, um sich am Ende zu berühren.
Es herrscht eine latente Spannung in dem sanft-subversiven Film „Ein kleines Stück vom Kuchen“ (Cinenova, Filmhaus, Odeon, OmU im OFF Broadway) des iranischen Regie-Duos Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha: Die Repression, die das Mullah-Regime auf die Bevölkerung ausübt, liegt wie ein Schatten über dem Schauplatz Teheran. Doch der Druck der Religionspolizei prallt auf eine wunderbare Frauenfigur: eine finanziell unabhängige Witwe aus der bürgerlichen Mittelschicht (Lily Farhadpour), deren Kniegelenke Schwierigkeiten beim Treppensteigen machen, die aber trotzdem (oder gerade dank der Freiheit des Alters) die Standfestigkeit hat, der Unterdrückung zu trotzen. Mahin, so der Name der Protagonistin, ist um die 70 Jahre alt und erinnert sich noch an Zeiten, als es in Teheran möglich war, mit tiefem Ausschnitt und hochhackigen Schuhen im Hyatt-Hotel ein Konzert von Al Bano & Romina Power zu besuchen. Und sie ist gewillt, auch jetzt wieder mehr Sexyness, mehr Intensität in ihr Leben zu lassen. In ihrer Wohnung und im Garten des dazu gehörigen Innenhofes sprießen neben den Gewächsen bald auch Gefühle, als die alte Dame auf Drängen ihrer Freundinnen loszieht, um der Einsamkeit ihres Witwenstandes zu entkommen. Tatsächlich schafft sie es, den ebenfalls alleinstehenden Taxifahrer Faramarz (Esmaeel Mehrabi) für sich zu interessieren. Der Rentner ist nur zu gerne bereit, der Liebe noch einmal eine Chance einzuräumen und sich von Mahin in deren Haus einladen zu lassen. Der Film kreist um die magische Nacht, die sich aus dieser Begegnung entwickelt, und zelebriert das Beisammensein der Figuren als genüsslichen Akt der Rebellion.
Zwischen dem Führer und seinem Demagogen liegt nur ein kleiner Unterschied. „Führer und Verführer“ (Cinenova, Odeon), so der Titel von Joachim Langs Geschichtsstundenfilm über die Kriegs- und Untergangsjahre der deutschen Nazis, schiebt deshalb auch nur eine einzige Silbe zwischen Adolf Hitler und Joseph Goebbels, den obersten Propagandisten und Showrunner der Nazis. Perspektiviert werden die Ereignisse im Dritten Reich unter dem Mythos der verführten Massen. Anfänglich scheint es gar, dass Goebbels Hitler überhaupt erst gemacht hat. Bald aber gibt der sich in seiner völkischen Ideologie zu erkennen, während Goebbels (Robert Stadlober) sich noch mit Frauen vergnügt und abgemahnt werden muss, auch weil seine Gattin (Franziska Weiß) mit der Scheidung droht – das würde das ganze Nazi-Projekt gefährden. Hitler, gespielt von Fritz Karl, erscheint ansonsten unter der Wirkungsmacht des Propagandaapparats ziemlich blass. Letztlich geht es Regisseur Lang aber nicht um die Nuancierung von Personenkonstellationen und Machtverhältnissen. Die hybride Umsetzung des Stoffes ist das eigentliche Ereignis des Films. Zu den historischen Fakten fügt Lang nachgespielte Gespräche zwischen Hitler, Goebbels, Himmler und Göring, die auf Recherchen und Zitaten basieren. Nur wenige Juden sind den Nazis lebend entkommen. Einige Holocaust-Überlebende treten als Zeitzeugen vor die Kamera. Sie erinnern sich an die Ankunft in den Vernichtungslagern, wie ihre Eltern in die Gaskammer kamen, wie sie allein zurückblieben. Und wie schließlich ein Soldat mit Fellmütze und rotem Stern kam, sie anlächelte – und sie freikamen. Den Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, Charlotte Knobloch, Leon Weintraub, Eva Umlauf, Eva Szepsi und Ernst Grube überlässt der hybride Spielfilm das letzte Wort. Das mahnende Fazit: Es geschah. Und deshalb kann es wieder geschehen.
Regisseur Joachim Lang ist am Sonntag, 14.7. um 16.30 Uhr zu Gast im Odeon.
Außerdem neu in den Kinos: Andreas Schmieds österreichische Gangsterkomödie „Pulled Pork“, Jos Stellings Schwarzweißdrama „Nataschas Tanz“, Greg Berlantis romantische Komödie „To the Moon“ (Cinedom, Cineplex, Residenz, UCI) und Patrick Delages und Chris Renauds episodisches Animationssequel „Ich - Einfach unverbesserlich 4“ (Autokino Porz, Cinedom, Cineplex, UCI).
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