Seit mehr als zwanzig Jahren zählt der 1963 in Gera geborene Andreas Dresen zu den renommiertesten deutschen Filmemachern. Einen großen Popularitätsschub erhielt er 2005 durch „Sommer vorm Balkon“, es folgten Filme wie „Wolke neun“, „Halt auf freier Strecke“, „Als wir träumten“, „Gundermann“ oder zuletzt „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“. Er wurde u.a. auf den Festivals von Berlin, Cannes, Chicago, Hamburg, Karlovy Vary, Trieste, Valladolid, Schwerin, Göteborg und Minsk ausgezeichnet. Sein neuer Film „In Liebe, Eure Hilde“ erzählt von der NS-Widerstandsgruppe Die Rote Kapelle um Hilde und Hans Coppi. Ab dem 17. Oktober ist er bundesweit in den Kinos zu sehen.
choices: Herr Dresen, „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ war im Vergleich zu „In Liebe, Eure Hilde“ ein sehr witziger und humorvoller Film, behandelte aber auch ein erschütterndes Thema. Faszinieren Sie düstere Stoffe besonders?
Andreas Dresen: Ich finde, dass Filme in ihrem Zentrum eine Substanz haben müssen. Auch eine Komödie funktioniert meiner Meinung nach nur im Kontext mit Tragödie. Wenn ich mit Laila Stieler an einem Drehbuch arbeite, versuchen wir meist, tragikomisch zu erzählen, beide Elemente drin zu haben. Das war bei der wirklich dramatischen Geschichte von „Hilde“ sehr schwierig. Da gibt es für unsere Verhältnisse wenig Humor. Angezogen an dem Film hat mich aber nicht das Dramatische, sondern der Charakter von Hilde. Sie ist eine rührende, fast ein bisschen schüchterne Person und eben nicht die klischeehafte Widerstandskämpferin, die das kommunistische Manifest gelesen hat nun mit erhobener Faust ein Attentat plant. Hilde hat auf stille Art ein Unrechtsempfinden, ist empathisch und folgt ihrem Instinkt.
Mit Drehbuchautorin Laila Stieler arbeiten Sie schon seit Jahrzehnten zusammen. Wie finden Sie denn die gemeinsamen Themen?
Ganz unterschiedlich! In diesem Fall kam der Vorschlag von Laila. Sie hatte sich mit Frauen im Widerstand beschäftigt und dann angefangen, das Projekt über Hilde Coppi zu schreiben, das ursprünglich noch fürs Fernsehen geplant war. Dann fanden aber alle Beteiligten, dass das eher etwas fürs Kino ist, und so kam ich dazu. Bei „Rabiye Kurnaz“ war es genau anders herum, da hatte ich den Stoff über viele Jahre verfolgt. Laila übernahm viel später, als wir die Perspektive der Geschichte geändert und beschlossen hatten, die ganze Kurnaz-Geschichte über die Mutter zu erzählen. Es ist jedes Mal ein bisschen anders, manchmal suchen wir uns auch gemeinsam Themen. Bei „Gundermann“ hatten wir auf einem langen Spaziergang über Filme und über den Osten gesprochen. Wir fanden diesen so widersprüchlichen Charakter sehr geeignet, damit eine neue Sicht zu erzählen.
Was macht für Sie Die Rote Kapelle und Hilde Coppi gerade heute wieder aktuell und spannend?
Wir haben das Thema nicht aus tagesaktuellen Gründen gewählt. Ein Film sollte über die Zeit, in der er herauskommt, herausreichen. Er muss auch in zehn oder zwanzig Jahren noch eine Nachricht für seine Zuschauer haben und in anderen Ländern funktionieren. Man weiß ja auch bei der Planung eines Films noch gar nicht, in welchem politischen Kontext er dann erscheinen wird. Für uns erschreckend, scheint er jetzt unfassbar aktuell, weil wir nicht nur in Deutschland und Europa, sondern sogar weltweit eine extrem erstarkende Rechte haben. Im Kontext des Films muss man sich deswegen Fragen nun anders stellen und beantworten. Mich interessierte, dass diese Geschichte von Anfang an die Möglichkeit geboten hat, sich mit den Figuren abzugleichen. Ich bin in der DDR mit einem Widerstandskämpferbild groß geworden, in dem das alles Superhelden waren. Es waren so tapfere und wahnsinnig mutige Menschen, dass man gar nicht gewagt hat, sich mit ihnen zu vergleichen. Dahinter steckte durchaus systemerhaltende politische Absicht, weil man selbst ja nicht mehr widerständig ist, wenn man sich so feige und klein fühlt. Insofern fand ich es toll, dass mir Hilde und Hans Coppi in ihrem Handeln so nah waren. Die Bilder, die es von ihnen gibt, zeigen sie am Strand sitzend, in einem Segelboot oder auf einem Motorrad. Das ist total rührend, weil man plötzlich begreift, dass sie sich nicht 24 Stunden an sieben Tagen der Woche mit Widerstand beschäftigt haben, sondern ganz normale junge Menschen waren, die eine Familie gründen wollten, die Sex hatten. Hilde hat ja dann ein Baby bekommen – Träume und Wünsche, die wir heute auch alle haben.
Die Entscheidung, die Ereignisse nicht chronologisch zu schildern, wurde doch vermutlich bereits in der Drehbuchphase getroffen, oder?
Das war im Drehbuch so angelegt, allerdings nicht von Anfang an. Die erste Fassung, die ich bekam, war tatsächlich noch chronologisch erzählt. Sie hatte auch damals schon sehr rührende Szenen und bewegende Charaktere. Aber mit der Struktur war ich nicht so zufrieden, weil ich den Eindruck hatte, der Film würde in zwei Hälften zerbrechen: In der ersten Hälfte die Geschichte von Liebe und Widerstand, und in der zweiten dann die Geschichte der Fürsorge von Hilde für ihr Baby im Gefängnis und wie sie daran auch als Mensch wächst. Ich habe dann Laila fast ein bisschen flapsig vorgeschlagen, in der Mitte anzufangen. Beginnend mit der Verhaftung, dann die Zeit im Gefängnis vorwärts und die Liebesgeschichte rückwärts erzählend. Laila fand den Vorschlag gut und hat es ausprobiert. Wir hatten den Eindruck, dass es funktioniert, und letzten Endes ist es dann so geblieben. Neben der abwechslungsreicheren Struktur hatte das noch eine andere Konsequenz, denn so endet der Film nicht mit einer schrecklichen Hinrichtungsszene, sondern mit dem Beginn einer Liebe. Und die düstere Zeit im Gefängnis wird immer wieder durchbrochen von der lichten Welt am See, wo ein Himmel da ist und eine Lebensfreude. Das war ganz wichtig für uns.
Wie häufig bei Ihren Filmen gibt es auch hier keine Filmmusik. Wann entscheiden Sie, ob Sie noch eine Musik hinzufügen oder nicht?
Hier war schon relativ schnell klar, dass ich keine Musik haben will. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, was man da hätte machen können, wollte auch nicht so manipulativ auf die Emotionen draufdrücken, denn die sind ja bereits in der Geschichte sehr stark angelegt. Es ist eine Liebesgeschichte, es ist die Geschichte einer Mutter und ihres Kindes. Musik wäre mir dabei viel zu manipulativ vorgekommen. Es sollte auf jeden Fall ein Film werden, der von einer starken Hauptdarstellerin getragen wird, der wir folgen. Ich wollte als Regisseur keine Mittel einsetzen, die das Publikum noch zusätzlich emotionalisieren. Die Kraft erwächst aus den Vorgängen selbst.
Der beeindruckenden Hauptdarstellerin Liv Lisa Fries haben Sie mit Johannes Hegemann einen eher unbekannten Partner an die Seite gestellt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Für mich ist das Wichtigste, dass die Schauspieler zu den Figuren passen und es auch in der Konstellation funktioniert. Nachdem Liv Lisa Fries besetzt war, brauchte ich für sie einen passenden Spielpartner. Ich habe dann verschiedene junge Schauspieler ausprobiert. Meine Casterin Karen Wendland hat dann auch Johannes Hegemann vorgeschlagen. Ich kannte ihn schon seit seinem Schauspielstudium in Rostock. Danach ist er dann zum Thalia-Theater gegangen, und ich finde, er ist ein wunderbarer Schauspieler. Ich denke, dass er auch im Film eine große Zukunft vor sich hat. Die Bekanntheit hat dabei für mich überhaupt keine Rolle gespielt, auch nicht bei Liv. Für mich war sie für diese Figur genau die richtige Schauspielerin, weil sie diese Durchlässigkeit hat. Man kann bei Liv durch die Augen direkt in die Seele schauen. Ich habe bei ihr ganz oft das Gefühl, dass sie gar nicht spielt, sondern die Situation durchlebt und in ihrem Charakter komplett drin ist. Sie selbst war gar nicht so davon überzeugt, dass sie diese Rolle spielen kann. Denn sie ist ja eine junge Berliner Frau, die sehr offen ist und lebensfroh. Da konnte sie sich zunächst gar nicht vorstellen, einen eher verhaltenen und schüchternen Charakter zu spielen. Aber wir haben schon in den Probeaufnahmen herausgefunden, dass das richtig gut funktioniert, und ich finde, sie macht es wahnsinnig toll.
Im Film gibt es einige Nackt- und Sexszenen, die heute häufig von Intimitätskoordinatoren betreut werden. Erleichtert so etwas auch die Arbeit des Regisseurs?
Ich finde, das Drehen solcher Szenen ist vor allen Dingen eine Frage von Respekt und Kommunikation. Man muss beizeiten anfangen, miteinander ganz offen über alles zu sprechen, was vor der Kamera stattfinden und zu sehen sein soll. In diesem Fall habe ich mich im Vorfeld mit den beiden Schauspielern getroffen, ausführlich mit ihnen geredet, Beispiele gezeigt und versucht, ihnen möglichst genau zu erklären, was wir vorhaben. Interessanterweise ist Liv gar nicht wirklich nackt in der Szene, in der sie sich im Gefängnis ausziehen muss. Sie hatte eine komplette Maske auf dem Körper, weil sie in dem Moment natürlich nicht schwanger war. Als wir das gedreht haben, hat sie sich deswegen auch gar nicht nackt gefühlt, weil der komplette vordere Körperbereich durch Maske abgedeckt war. Nacktszenen gab es an anderer Stelle natürlich trotzdem. Wenn sich Schauspieler wünschen, dass da noch eine weitere Person involviert ist, würde ich dem immer folgen und das selbstverständlich auch so machen. In diesem Fall haben wir uns darauf verständigt, dass wir nur zu dritt bleiben, und das war auch sehr schön und harmonisch.
Wie eng war Hans Coppi jr. denn in das Projekt involviert?
Von Beginn der Arbeit an war er für Laila die wichtigste Quelle und der wichtigste Partner. Er hat uns sein Archiv geöffnet, aber vor allen Dingen auch sein Herz. Ihm war es immer wichtig, und das hat er uns auch mit auf den Weg gegeben, dass seine Eltern als Menschen dargestellt werden. In der DDR wurden sie ja als Superkommunisten verklärt, im Westen waren sie Vaterlandsverräter, weil sie ja versucht hatten, militärische Informationen über Funk an die Sowjetunion zu übermitteln. Es hat bis 2009 gedauert, dass der Deutsche Bundestag die Urteile gegen die sogenannte Rote Kapelle endlich aufgehoben hat. Der Staatsanwalt, der für die Todesurteile gegen Hilde und ihre Mitstreiter verantwortlich gewesen ist, war noch in den 60er Jahren in Hessen Kommunalpolitiker.
Sie waren Laienrichter in Brandenburg und haben sich einen Spaß daraus gemacht, in „Rabiye Kurnaz“ kurz als Supreme-Court-Richter aufzutreten. Hier stand aber vermutlich nie zur Debatte, in die Rolle eines der Beisitzers des Gerichts zu schlüpfen, oder?
Gott bewahre, nein. Ich habe sogar meinen Auftritt als Supreme-Court-Richter in „Rabiye Kurnaz“ später bereut, weil mich einige Zuschauer erkannt und an der Stelle dann gelacht haben. Das fand ich bei der Szene störend. Im Nachhinein würde ich es nicht noch einmal machen. Ich sitze in der Szene am Supreme Court ja neben dem echten Bernhard Docke, und wir haben das vor allen Dingen deswegen gemacht, weil wir dieses Supreme-Court-Urteil so wegweisend finden. Der Senat hat damals eine wirklich sehr mutige Entscheidung gegen den eigenen Präsidenten getroffen. Aber ich würde mich niemals freiwillig in ein solches Nazi-Tribunal setzen, das dann ein Todesurteil ausspricht. Das kam für mich bei „Hilde“ überhaupt nicht in Frage.
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